Levyc'kyj (Lewyckyj), Kost' Antonovyč (1859–1941), Politiker und Rechtswissenschaftler

Levycʼkyj (Lewyckyj) Kostʼ Antonovyč, Politiker und Rechtswissenschaftler. Geb. Tyśmienica, Galizien (Tysmenycja, UA), 18. 11. 1859; gest. Lemberg, Generalgouvernement (L’viv, UA), 12. 11. 1941; griech.-kath. Sohn des griech.-kath. Geistlichen Antin Levyc’kyj (1832–1909). – L. besuchte das Gymnasium in Stanislau (1869–78) und studierte 1878–82 Rechtswissenschaften an der Universität Lemberg. 1884 wurde er an der Universität Wien zum Dr. iur. promoviert. In der Folge arbeitete er zunächst in der Kanzlei der galizischen Statthalterei, um nach Absolvierung des sechsjährigen juridischen Pflichtpraktikums 1890 eine Anwaltskanzlei in Lemberg zu eröffnen. L. avancierte zu einer zentralen Figur für die Entwicklung der ukrainischen Rechtswissenschaft und Anwaltspraxis in Galizien. Einerseits vertrat er Ukrainer in politischen Prozessen, andererseits bemühte er sich um die ruthenisch-ukrainische wissenschaftliche Selbstorganisation. 1881 gründete er den studentischen rechtswissenschaftlichen Zirkel Kružok pravnykiv, 1889 die Fachzeitschrift „Časopys pravnyčnyj“, die er bis 1900 redigierte. Anschließend wurde diese von →Stanislav Severynovyč Dnistrjans’kyj übernommen, mit welchem er auch, als die rechtswissenschaftliche Kommission aus der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften ausschied, 1909 den Verein ukrainisch-ruthenischer Advokaten in Lemberg gründete. L. war Mitglied und Mitarbeiter mehrerer ruthenisch-ukrainischer Vereine und Verbände, darunter der Prosvita, der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften, der Versicherungsgesellschaft Dnister und des Landeskreditverbands. Im Rahmen der Prosvita bemühte er sich um Aufklärung hinsichtlich des geltenden Rechts und trug im Zusammenhang damit auch zum Ausbau der rechtswissenschaftlichen Terminologie im Ukrainischen bei, u. a. durch die Veröffentlichung eines deutsch-russischen juridischen Wörterbuchs („Nimec’ko-ruskyj slovar vysloviv pravnyčnych i administracijnyj“, 1893, überarbeitete Neuausgabe als „Nimec’ko-ukrajins’kyj pravnyčnyj slovar“, 1920). Sein politisches Engagement begann schon während der Schulzeit, ab Mitte der 1880er-Jahre kooperierte er mit den narodovci („Volkstümlern“). Gemeinsam mit Julijan Romančuk, →Oleksandr Hryhorovyč Barvins’kyj u. a. gründete er 1885 den politischen Verein Narodna rada, dessen Sekretariat er für rund zwei Dezennien leitete. 1890–94 beteiligte er sich aktiv an der polnisch-ukrainischen Ausgleichspolitik. 1899 war er Mitbegründer der Ukrainischen Nationaldemokratischen Partei (UNDP) und zog 1908 als Abgeordneter in den galizischen Sejm ein (bis 1914, ab 1910 Vorsitzender des Ukrainisch-Ruthenischen Klubs). 1907 wurde er in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats gewählt, dem er bis 1918 angehörte und wo er mehrere Jahre lang das Amt des Vizepräsidenten innehatte. In den Jahren vor und während des 1. Weltkriegs war L. der wohl wichtigste ukrainische Politiker. Unter seiner Leitung verhandelte die UNDP 1914 den sogenannten galizischen Ausgleich, nachdem sie mehr und mehr Druck im Reichsrat ausüben konnte. Ab August 1914 fungierte er als Präsident der neu gegründeten überparteilichen ukrainischen politischen Interessensvertretung Holovna Ukrajins’ka Rada, die im Folgejahr in die Zahal’na Ukrajins’ka Rada umgewandelt wurde und sich 1916 aus Protest gegen die propolnische Galizienpolitik Österreichs auflöste. 1918 übernahm L. den Vorsitz in der ersten Regierung der Westukrainischen Volksrepublik und fungierte zugleich als Finanzminister. 1920–23 zeichnete er in der Exilregierung Jevhen Petruševyčʼ für Propaganda, Presse und auswärtige Angelegenheiten verantwortlich und vertrat die Westukrainische Volksrepublik auf diversen internationalen Konferenzen. In der Zwischenkriegszeit stand er der Centrobank des Landeskreditverbands als Direktor vor, leitete den ukrainischen Anwaltsverband und war Mitglied des Zentralkomitees der Ukrainischen National-Demokratischen Vereinigung. Außerdem verfasste er eine dreibändige Darstellung der ruthenischen politischen Bewegung während des Weltkriegs („Istorija vyzvol’nych zmahanʼ halyc’kych ukrajinciv z času svitovoji vijny 1914–1918“, 1928–30) und eine zweibändige Geschichte des politischen Denkens der galizischen Ukraine („Istorija polityčnoji dumky halyc’kych ukrajinciv 1848–1918“, 1926–27), beides wichtige historische Quellen. Im September 1939 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD inhaftiert und im Moskauer Lubjanka-Gefängnis festgehalten, verstarb er kurz nach seiner Freilassung.

L.: Adlgasser; I. Andruchiv, K. L., 1995 (mit Bild); H. Binder, Galizien in Wien, 2005, s. Reg.; B. Vasylyk, K. L., 2012 (mit Bild); M. Petriv, Ukrajins’ki advodkaty 1, 2014, S. 179ff.; I. Čornovol, Ukrajins’ka frakcija halyc’koho krajovoho sejmu, 2018, S. 56, 302f.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)