Menghin, Oswald (1888–1973), Prähistoriker, Politiker und Schriftsteller

Menghin Oswald, Prähistoriker, Politiker und Schriftsteller. Geb. Meran, Tirol (Meran/Merano, I), 19. 4. 1888; gest. Chivilcoy (RA), 29. 11. 1973; röm.-kath. Sohn von →Alois Menghin und Maria Menghin, geb. Terzer (1855–1925), Vater von Osmund Menghin (1920–1989), Professor für Urgeschichte an der Universität Innsbruck; 1917 Heirat mit Margarethe Menghin, geb. Ponzauner (1894–1973). – M. besuchte das Benediktinergymnasium in Meran und studierte ab 1906 Prähistorische Archäologie in Wien, vor allem bei →Moriz Hoernes; 1909–11 Lehrgang des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1910 Dr. phil. Über Vermittlung seines Vaters wurde er 1908 in den Gralbund →Richard Kraliks von Mayrswalden aufgenommen. M.s Jugend in Tirol, seine Studentenzeit in Wien sowie sein Verhältnis zu seinem Vater spiegeln sich in seinem 1924 erschienenen Roman „Zerrissene Fahnen“ wider. Weitere belletristische Werke waren die erstmals 1936 erschienenen Humoresken „Drei Schüsseln Tiroler Bauernknödel“ sowie die Balladen „Frau Nachtigall“ und der Gedichtband „Bauernwelt“, 1937. 1910–11 Praktikant bei der Zentralkommission für Denkmalpflege, war M. anschließend bis 1918 als Konzeptsbeamter im Niederösterreichischen Landesarchiv tätig; 1913 Korrespondent, 1918 Konservator der Zentralkommission. 1913 an der Universität Wien für Urgeschichte des Menschen habilitiert, gründete er 1914 gemeinsam mit Hoernes und →Georg Kyrle die Wiener Prähistorische Gesellschaft, die bis 1945 die „Wiener Prähistorische Zeitschrift“ (WPZ) herausgab. 1918 wurde M. ao. Prof. für Urgeschichte, 1922 o. Prof.; 1928/29 war er Dekan der philosophischen Fakultät, 1935/36 Rektor. Als Ordinarius versuchte er, die junge Fachdisziplin zu popularisieren. 1919–26 war M. Mitglied der Deutschen Gemeinschaft (DG), wo er auf →Arthur Seyss-Inquart traf. Sein 1931 erschienenes Hauptwerk „Weltgeschichte der Steinzeit“ (2. Aufl. 1940) wurde damals für seine überragende Konzeption viel beachtet, ist heute aber weitgehend überholt. 1930–33 wirkte M. als Resident Professor an der Universität Kairo und arbeitete gemeinsam mit Hermann Junker an den neolithischen Ausgrabungen von Merimde Beni Salame sowie mit Mustapha Amer an der Erforschung der vordynastischen Ansiedlung von Maadi bei Kairo. Zur Zeit des Ständestaates hatte er engen Kontakt zu Unterrichtsminister Hans Pernter. M. gilt als Vorbild für die Person des Prof. Schummerer in Franz Werfels Novelle „Eine blaßblaue Frauenschrift“ (1941). Als Vertreter der „nationalen Opposition“ war er Mitglied des Führerrats der Wiener Vaterländischen Front sowie ab 1937 des sogenannten Siebener-Ausschusses und war um die Gründung des Deutsch-Sozialen Volksbundes bemüht. Am 11. 3. 1938 wurde M. Bundesminister für Unterricht in der Regierung Seyss-Inquart und leitete in dieser Funktion an den Universitäten die Entlassungen von Lehrenden aus „rassischen“ und politischen Gründen sowie den Ausschluss jüdischer Studenten ein. Das Ministeramt legte M. bereits Ende April 1938 zurück und war danach erneut als Professor tätig. 1945 geriet er in Mattsee in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde im September seines Ordinariats enthoben. 1945–47 war er als Kriegsverbrecher in einem amerikanischen Lager in Bayern interniert, bevor ihm die Flucht über Tirol und Rom nach Argentinien gelang; 1948 ao. Prof., 1961–68 o. Prof. für Urgeschichte an der Universität Buenos Aires. Das Verfahren gegen ihn wurde 1956 eingestellt, im folgenden Jahr wurde er als österreichischer Beamter pensioniert. Zuletzt leistete er grundlegende Arbeiten zur Erforschung der Steinzeit Südamerikas: So behandelte er 1957 die „Vorgeschichte Amerikas“ in „Oldenbourgs Abriß der Weltgeschichte I“. Im selben Jahr gründete er das Centro Argentino de Estudios Prehistóricos. In politischer Hinsicht gehörte er zu den akademischen Wegbereitern des NS-Regimes in Österreich. Bereits ab den 1920er-Jahren hielt er Vorträge vor NSDAP-Ortsgruppen zur „Judenfrage“. Seine rassistische und antisemitische Weltanschauung wird in seinen 1936 unter dem Titel „Geist und Blut“ veröffentlichten politischen Vorträgen deutlich. Trotz seines ideologischen Naheverhältnisses zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurde M. erst 1940 Parteimitglied. Er stand der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe nahe, wodurch es zu Differenzen mit dem Amt Rosenberg kam, die sich u. a. in der Aberkennung der Lehrbefugnis für seinen ehemaligen Assistenten Richard Pittioni ausdrückten. M. wurde 1927 k. M., 1936 w. M. und Obmann der Prähistorischen Kommission, 1959 k. M. (Ausland) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ab 1936 war er k. M. der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 1937 Dr. h. c. der Universität Göttingen etc.

Weitere W.: s. Schlern 32, 1958.
N.: Almanach Wien 124, 1974, S. 540–546; R. Pittioni, in: Archaeologia Austriaca 55, 1974, S. 1–5 (m. B.).
L.: NDB; Der Schlern 32, 1958, S. 69–158 (Festschrift O. M., m. B. u. W.); W. Rosar, Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluß, 1971, s. Reg.; J. Haag, Marginal Men and the Dream of the Reich, in: Who were the fascists, ed. S. U. Larsen u. a., 1980, S. 239–248; R. S. Geehr, O. M., ein Vertreter der katholischen Nationalen, in: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik, ed. I. Ackerl – R. Neck, 1986, S. 9–24; H. Heiber, Universität unterm Hakenkreuz 1, 1991, s. Reg.; H. Jakubovitsch, Die Forschungsgeschichte des Faches Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien und Innsbruck im Überblick, phil. Diss. Wien, 1993, S. 111–194; O. H. Urban, „Er war der Mann zwischen den Fronten“, in: Archaeologia Austriaca 80, 1996, S. 1–24 (m. B.); Ph. L. Kohl – J. A. Pérez Gollán, Religion, Politics and Prehistory, in: Current Anthropology 43, 2002, S. 561–586 (m. B.); O. H. Urban, „ ... und der deutschnationale Antisemit Dr. M. Much“ – der Nestor der Urgeschichte Österreichs?, 2. Teil, in: Archaeologia Austriaca 86, 2002, S. 7–43; E. Hackl, Nachschrift zum Fall M., in: Zwischenwelt 19, 2003, H. 4, S. 5f.; M. Pape, „Depression über Österreich“. F. Werfels Novelle „Eine blaßblaue Frauenschrift“ (1940) im kulturellen Gedächtnis Österreichs, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 45, 2004, S. 141–178; M. Fontán, O. M.: ciencia y nazismo, 2005; UA, Wien.
(O. H. Urban)   
Zuletzt aktualisiert: 15.3.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)