Merkl, Adolf Julius (1890–1970), Rechtswissenschaftler

Merkl Adolf Julius, Rechtswissenschaftler. Geb. Wien, 23. 3. 1890; gest. ebd., 22. 8. 1970; röm.-kath. Sohn eines Forstakademikers. – M. maturierte 1908 in Wiener Neustadt und studierte danach Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien; 1912 Dr. jur. Als einer der ersten Hörer →Hans Kelsens wurde er dessen wichtigster Schüler. Beruflich war M. zunächst bei verschiedenen Gerichten, ab 1915 im Verwaltungsdienst der Stadt Wien, ab 1917 im Handelsministerium sowie 1918 im Ministerratspräsidium tätig. Von dort wurde er Anfang November 1918 an die deutschösterreichische Staatskanzlei überstellt. 1919 habilitierte er sich an der Universität Wien für Staats- und Verwaltungsrecht; eine Berufung an die TH Brünn wurde mit der Berufung zum ao. Professor an der Universität Wien verhindert, welchen Posten er 1921 übernahm (ab 1930 tit. o. Prof.). 1932 erfolgte seine Ernennung zum o. Prof. an der Universität Wien, 1934/35 Dekan der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. Im April 1938 beurlaubt und im Dezember 1939 in den Ruhestand versetzt, arbeitete er als Helfer in Steuersachen, bis er 1941 einen Ruf der Universität Tübingen erhielt, dem er 1943 folgte. 1948 kehrte M. nach Wien auf seinen alten Lehrstuhl zurück und lehrte hier bis zu seiner Emeritierung 1961. M.s bedeutendste Leistung auf rechtstheoretischem Gebiet ist die von ihm entwickelte Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, die heute einen zentralen Bestandteil der Reinen Rechtslehre darstellt. Mit seinen Schriften zum positiven Verfassungs- und Verwaltungsrecht („Die Verfassung der Republik Deutschösterreich“, 1919; „Allgemeines Verwaltungsrecht“, 1927) machte M. die theoretischen Erkenntnisse der Reinen Rechtslehre praktisch nutzbar und förderte so deren Verbreitung. Dabei erwies er sich in mancher Hinsicht kompromissloser und konsequenter als Kelsen, so etwa, wenn er zur Einsicht von der prinzipiellen Unveränderlichkeit von Rechtsnormen gelangte. Den Verfassungsbruch vom März 1933 verurteilte M. scharf; zwar kritisierte er die neue Verfassung in einer eigenen Darstellung („Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs“, 1935), stand jedoch dem Ständegedanken selbst zumindest aufgeschlossen gegenüber. Die nationalsozialistischen Machthaber warfen ihm „fanatischen Katholizismus“ vor, würdigten aber auch seinen Einsatz für die großdeutsche Idee. Letzterer Umstand führte 1947/48 zu einer mehrmonatigen Verzögerung seiner Rückberufung nach Wien. Die Art und Weise, in der der „Anschluss“ 1938 zustande kam, wurde von M. abgelehnt; er entwickelte nach 1945 die heute herrschende „Okkupationsthese“, wonach das „Anschlussgesetz“ 1938 juristisch absolut nichtig gewesen, Österreich daher nur okkupiert, nicht annektiert worden sei. Bis zur NS-Zeit striktester Positivist, bewirkten die Erfahrungen der folgenden Jahre bei M. eine Hinwendung zum Naturrechtsdenken, doch blieb er der Reinen Rechtslehre bis an sein Lebensende treu. Als Pionier der Naturschutzbewegung hatte er am niederösterreichischen Naturschutzgesetz 1924 wesentlichen Anteil. In gewissem Zusammenhang damit stand auch sein publizistischer Kampf gegen den Alkohol.

W. (s. auch Grussmann; A. J. M. Werk und Wirksamkeit): Gesammelte Schriften, ed. D. Mayer-Maly u. a., 3 Bde., 1993–2009 (Bd. 1/1 m. B.); A. J. M., in: Österreichische Rechts- und Staatswissenschaften der Gegenwart in Selbstdarstellungen, ed. N. Grass, 1952 (m. B. u. W.).
N.: F. Ermacora, in: Juristische Blätter 92, 1970, S. 520–522.
L.: NDB; R. Walter, in: Juristen in Österreich, 1987, S. 300–304; K. Korinek, A. M. zum 80. Geburtstag, in: Die öffentliche Verwaltung 23, 1970, S. 193f.; W.-D. Grussmann, A. J. M. Leben und Werk, 1989 (m. B., W. u. L.); A. J. M. Werk und Wirksamkeit, ed. R. Walter, 1990 (m. W.); K. Staudigl-Ciechowicz, Von Adamovich bis Pfeifer, in: Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht (im Druck).
(Th. Olechowski)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)