Meynert, Theodor (1833-1892), Psychiater

Meynert Theodor, Psychiater. * Dresden, 15. 6. 1833; † Klosterneuburg (NÖ), 31. 5. 1892. Sohn des Vorigen, Vater der Dichterin D. Stockert-M. (1870–1949); stud. an den Univ. Pest und Wien Med., gefördert durch den Pathologen Rokitansky. 1861 Dr. med. 1865 Habil. für Lehre über Bau und Leistungen des Gehirns und Rückenmarks mit Beziehung zu deren Erkrankungen, 1868 Erweiterung der Venia legendi für Psychiatrie. 1866 Sekundararzt und Prosektor an der niederösterr. Landesirrenanstalt, 1870 Dir. und ao. Prof., 1873 o. Prof. der Psychiatrie an der Univ. Wien. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. 1889 Mitgl. des Obersten Sanitätsrates, 1890 Hofrat, 1892 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. 1867 gründete M. gem. mit Leidesdorf (s. d.) die „Vierteljahresschrift für Psychiatrie in ihren Beziehungen zur Morphologie und Pathologie des Centralnervensystems, der physiologischen Psychologie, Statistik und gerichtlichen Medizin“. 1868 gründete er gem. mit Leidesdorf den Ver. für Psychiatrie und forens. Psychol., dessen Präs. er 1873 wurde. Die wiss. Bedeutung M.s liegt in dem Nachweis, daß die Bahnen der willkürlichen Bewegungsvorgänge erst später infolge einer verzögerten Reifung der Markscheiden funktionstüchtig werden; er entwickelte eine Übersicht über die Fasersysteme im Gehirn und wies die Verschiedenartigkeit der einzelnen Hirnrindenregionen nach. Er wurde zum Schrittmacher für eine myelogenet. Hirnlehre und für eine Zytoarchitektonik. Der Amentia-Begriff (primäre Verwirrtheit) gilt als Vorläufer der heutigen Auffassung der Schizophrenie. Von Jugend an mus. begabt, hatte M. auch dichter. und philosoph. Neigungen (Schopenhauerianer). Seine Frau Johanna, geb. Fleischer († 20. 1. 1879), entfaltete in den 70er Jahren eine ausgedehnte soziale Fürsorgetätigkeit. Sie trat u. a. für die Rettung des Maria Theresien-Hospitals, für die Gründung des Hausfrauenver. für verarmte Frauen, für die Schaffung einer Dienstmädchenschule und eines Asyls für Arbeitslose ein. Vizepräs. und Reorganisatorin des Ver. für Jugendfreunde.

W.: Der Bau der Großhirn-Rinde und seine örtlichen Verschiedenheiten nebst einem patholog. anatom. Korollarium, in: Vierteljahresschrift für Psychiatrie, Jg. 2, 1869; Über Unterschiede im Gehirnbau bei Menschen und Säugetieren, in: Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien, 1870; Psychiatrie, 1884; Amentia, Verwirrtheit, in: Jbb. für Psychiatrie, 1890; Klin. Vorlesungen über Psychiatrie auf wiss. Grundlagen, 1890; Gedichte, 1905; etc.
L.: N. Fr. Pr. vom 1. und 2. 6. 1892, 19. und 20. 5. 1901, 16. 7. 1905; RP vom 17. 6. 1913; Feierl. Inauguration, 1891/92; WMW, Jg. 42, 1892, S. 938 f.; Jbb. für Psychiatrie, Bd. 11, 1892; Almanach Wien, 1893; Z. für Psychol. und Neurol. 40, 1930, S. 256; Z. für die gesamte Neurol. und Psychiatrie 154, 1936, S. 265; A. Höfler, Worte der Erinnerung an Th. M. und sein Verhältnis zur Phil. Ges. an der Univ. Wien, 1892; D. Stockert-Meynert, Th. M. und seine Zeit, 1930; Dt. Irrenärzte, hrsg. von Th. Kirchhoff, Bd. 2, 1924; Hirsch; Pagel; Eisler; Eisenberg, 1893, Bd. 2; Österr. Naturforscher, Ärzte und Techniker, 1957, S. 137 ff.; Brümmer; Giebisch–Gugitz; Giebisch–Pichler–Vancsa; Nagl–Zeidler–Castle, Bd. 3, S. 43, 729 f.; Wurzbach; ADB 52; J. Fellner, Hermann Meynert, ein volkstümlicher österr. Geschichtsschreiber des 19. Jh. Leben und Werk, phil. Diss. Wien, 1947; Lesky, s. Reg.; UA Wien.
(G. Roth)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 6 (Lfg. 28, 1974), S. 255f.
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