Miklosich, Franz von (1813-1891), Slawist und Linguist

Miklosich Franz von, Slawist und Linguist. * Pichelberg b. Luttenberg (Radomerščak pri Ljutomeru, Unterstmk.), 20. 11. 1813; † Wien, 7. 3. 1891. Sohn eines Weinbauern; stud. mit Hilfe seines Onkels, eines Landpfarrers, an den Gymn. in Warasdin und Marburg a. d. Drau, dann Phil. und Jus an den Univ. Graz (1838 Dr. phil.) und Wien (1841 Dr. jur.). 1837/38 suppl. er die philosoph. Lehrkanzel an der Univ. Graz und versuchte erfolglos, sich an der Univ. Innsbruck zu habil. Nach kürzerer Praxis in Wr. Anwaltskanzleien bekam er 1844 mit Hilfe Kopitars (s. d.), der auf seine sprachliche Begabung aufmerksam geworden war, eine Amanuensisstelle an der Hofbibl. (1850 Skriptor, 1862 i. R.). 1849 wurde er ao., 1850 o. Prof. der slaw. Philol. und Literatur an der Univ. Wien, 1851/52, 1856/57 Dekan, 1854/55 Rektor, 1885 i. R. Präs. der Prüfungskomm. für Lehramtskandidaten. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. 1851 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien (1866–1869 Sekretär der phil.-hist. Kl.), 1862 lebenslängliches Herrenhausmitgl., 1864 nob., 1889 w. Geh. Rat, Hofrat. 1848 war er Präs. des akadem. Ver. „Slovenija“ in Wien und gilt als Verfasser der Proklamation, welche die Vereinigung aller Slowenen in einem eigenen Kronland der zukünftigen österr. Föderation verlangte. 1849 war er slowen. Abg. beim Reichstag in Kremsier, wo er durch besonnene Haltung die Sympathie Stadions erweckte, der dann seine Ernennung zum ersten Prof. der Slawistik in Österr. bewirkte. M., der schon im Gymn. große sprachliche Begabung gezeigt und slowen. und kroat.Verse geschrieben hatte, wurde durch den Einfluß Kopitars und durch intensives Stud. slaw. und anderer indoeurop. Sprachen zum Begründer der slaw. Philol. In der Kritik der Vergleichenden Grammatik des Sanskrit, Zend, Griech., Latein., Litau., Got. und Dt. von Bopp bewies M. 1844 die Notwendigkeit wiss. Erforschung nicht nur der von Bopp behandelten, sondern auch aller slaw. Sprachen und verfolgte unermüdlich und genial dieses Ziel. Eines seiner Leitmotive neben der Sichtung des slaw. Sprach- und Kulturguts war, ein unbewußtes Streben aller Völker Europas nach einer gem. Sprache festzustellen (Neueuropäismus). Nach Hrsg. grammatikal. und lexikal. Hdbb. sowie literar. Denkmäler des Altslowen., wie M. irrtümlich die Sprache des altkirchenslaw. Schrifttums am Balkan, in Pannohien, Mähren und Rußland bezeichnete, verfaßte und publ. er die „Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen“. Vom Altslowen. ausgehend, analysierte er in unzähligen Beispielen slaw. Spracherscheinungen und ließ scheinbar nur das Weißruss., Slowak. und Makedon. unbeachtet. Trotz des streng sachlichen Vorgehens erlag auch er hie und da dem „eigenthümlichen Zauber der Sprache“, wie er sich in der Syntax, dem reichsten Teil dieser Grammatik, ausdrückte. Verhängnisvoll wurde ihm die von Kopitar übernommene „Pannonische Theorie“, nach der das Altslowen. (das Altkirchenslaw.) nicht auf dem Balkan, sondern in Pannonien, d. h. im östlichen Slowenien entstanden sein sollte. Unter M.s lexikal. Werken sind das altslowen. „Lexicon palaeoslovenico-graeco-latinum“ und das „Etymologische Wörterbuch der slavischen Sprachen“ die bedeutendsten. Im Sinne des Neueuropäismus erforschte M. in Monographien fremde Elemente in den slaw. und Slawismen in den nichtslaw. Sprachen, wodurch er auch zum Begründer der rumän. und alban. Philol. wurde. Er verfaßte umfangreiche Stud. über die Mundarten und Wanderungen der Zigeuner Europas und edierte erfolgreich altkirchenslaw. Texte sowie serb. und griech. hist. Quellen. M. war auch in der Lehnwort-, Personen- und Ortsnamenforschung sowie in der Analyse der Volksepik bahnbrechend. Geringere Bedeutung haben dagegen seine mytholog. und polem. Schriften.

W.: Radices linguae slovenicae veteris dialecti, 1845; Lautlehre der altsloven. Sprache, 1850; Formenlehre der altsloven. Sprache, 1850; Vergleichende Grammatik der slav. Sprachen, 4 Bde., 1852–75; Lexicon palaeoslovenico-graeco-latinum, 2. Aufl. 1862–1865; Alban. Forschungen, 3 Tle., in: Denkschriften Wien, phil.-hist. Kl., Bd. 19–20, 1870–71; Die slav. Elemente im Rumun., ebenda, Bd. 20, 1871; Die slav. Elemente im Magyar., ebenda, Bd. 21, 1872; Über die Mundarten und Wanderungen der Zigeuner Europas, 12 Tle., ebenda, Bd. 21–23, 1872–74, Bd. 25–27, 1876–78, Bd. 30–31, 1880–81; Etymolog. Wörterbuch der slav. Sprachen, 1886; etc. Hrsg.: Monumenta serbica spectantia historiam Serbiae Bosnae Ragusii, 1858, 2. Aufl. 1964; etc.
L.: Almanach Wien, 1891; Feierl. Inauguration 1891/1892; Ljubljanski zvon, 1928, n. 48; Die Welt der Slaven, 1963, 8, S. 299 ff.; Jezik in slovstvo, 1963/64 (mit vollständiger Bibliographie); Knauer; SBL; Wurzbach; Enc. Jug.; Masaryk; Nar. Enc.; Otto 17; R. Jagoditsch, Die Lehrkanzel für slav. Philol. an der Univ. Wien 1849–1949, in: Wr. slavist. Jb., 1950, S. 1 ff.; UA Wien.
(A. Slodnjak)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 6 (Lfg. 28, 1974), S. 281f.
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