Mitteis, Heinrich (1889–1952), Rechtswissenschaftler

Mitteis Heinrich, Rechtswissenschaftler. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 26. 11. 1889; gest. München, BRD (D), 23. 7. 1952. Sohn von →Ludwig Mitteis. – M. studierte ab 1908 Rechtswissenschaften in Leipzig und im Wintersemester 1909/10 in Berlin; 1913 Dr. jur. summa cum laude der Universität Leipzig. Nach Ableistung des Kriegsdiensts in der deutschen Armee 1915–18 habilitierte er sich im April 1919 an der Universität Halle für deutsche Rechtsgeschichte und Privatrecht. 1920 wurde M. an die Universität Köln berufen, 1924 an die Universität Heidelberg. 1927 begründete er gemeinsam mit Leopold Wenger den Deutschen Rechtshistorikertag. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wurde M., deutschnational, aber nicht nationalsozialistisch gesinnt, im Oktober 1933 zum Dekan der juridischen Fakultät ernannt, geriet jedoch mit dem Rektor in Konflikt und wurde nach nur einem Monat wieder abgesetzt. 1934 wechselte M. nach München, wo die Konflikte mit dem Regime zunahmen. 1936 wurde er an die Universität Wien berufen. 1937/38 Dekan, wurde er nach dem „Anschluss“ wieder abgesetzt und faktisch mit einem Lehrverbot belegt, konnte sich aber frei bewegen und publizieren; u. a. erschien 1940 sein Hauptwerk über den „Staat des hohen Mittelalters“. 1940–45 als o. Prof. an die Universität Rostock „strafversetzt“, wurde er 1946 an die Universität Berlin und 1948 an die Universität München berufen. Als einer der wenigen nicht belasteten Rechtshistoriker übernahm M. die alleinige Herausgabe sämtlicher Abteilungen der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“ (1947–1953) und verfasste die Lehrbücher „Deutsche Rechtsgeschichte“ (1949) und „Deutsches Privatrecht“ (1950), die nach seinem Tod von Heinz Lieberich fortgeführt wurden und jahrzehntelang tonangebend waren. 1950 wurde er zum Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt und nahm noch im März 1952 einen Ruf an die Universität Zürich an. Im Mittelpunkt von M.ʼ wissenschaftlichem Werk steht das Lehnsrecht des hohen Mittelalters, dessen öffentlich-rechtliches Wesen er klar herausstreicht. Übertriebenen Dogmatismus ablehnend, zeigte M. „das Recht im Flusse der lebendigen Entwicklung nicht als Gewesenes, sondern als Gewordenes“, bezog daher auch stärker als bisher üblich nichtjuristische Quellen in seine Arbeiten mit ein und weitete den Blick von einer deutschen zu einer europäisch-vergleichenden Rechtsgeschichte aus. Während M. in seinen frühen Arbeiten noch bestrebt war, einen unmittelbaren Bezug zum geltenden Recht herzustellen, wandte er sich unter dem Eindruck des Missbrauchs der rechtshistorischen Forschung durch das NS-Regime davon ab und betonte nunmehr den Wert der Rechtsgeschichte für die persönliche Bildung. M. war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen, u. a. Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin und ab 1945 korrespondierendes Mitglied im Ausland der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Weitere W. (s. auch Brun): Lehnrecht und Staatsgewalt, 1933; Grundriß des Österreichischen Urheberrechtes ..., 1936; Die Rechtsidee in der Geschichte. Gesammelte Abhandlungen und Vorträge, 1957 (m. B. u. W.).
N.: Almanach Wien 104, 1954, S. 343–346.
L.: NDB; K. S. Bader, in: ZRG Germanist. Abt. 70, 1953, S. IX–XXXII (m. B.); Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3, 1984; H. M. nach hundert Jahren (1889–1989), ed. P. Landau u. a., 1991; G. Brun, Leben und Werk des Rechtshistorikers H. M. unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus, 1991 (m. W.); B. Diestelkamp, Drei Professoren der Rechtswissenschaft in bewegter Zeit, 2000, S. 9–14; Th. Olechowski, Rechtsgermanistik zwischen Ideologie und Wirklichkeit, in: Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht, (im Druck).
(Th. Olechowski)   
Zuletzt aktualisiert: 1.3.2011  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 1 (01.03.2011)