Ochrymovyč (Ochrymowicz, Ochrymowytsch), Volodymyr Julijanovyč (1870–1931), Jurist, Statistiker, Ethnograph und Publizist

Ochrymovyč (Ochrymowicz, Ochrymowytsch) Volodymyr Julijanovyč, Jurist, Statistiker, Ethnograph und Publizist. Geb. Wełdzirz, Galizien (Ševčenkove, UA), 27. 5. 1870; gest. Lwów, Polen (L’viv, UA), 6. 11. 1931; griech.-kath. Sohn des griech.-kath. Geistlichen Julijan Ochrymovyč (1843–1908), Bruder der Frauenaktivistin Olena Ochrymovyč, verheiratete Zaliznjak (geb. Seneczów, Galizien / Senečiv, UA, 1886; gest. Montréal, CDN, 1969), Schwager des Journalisten und Politikers Mykola Zaliznjak (geb. Melitopolʼ, Russland/UA, 10. 8. 1888; gest. Perm, UdSSR/RUS, 1950) sowie der Opernsängerin Solomyja Krušel’nyc’ka (1872–1952). – Nach Besuch des Gymnasiums in Stryj begann O. 1888 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Lemberg, das er 1893 abschloss. Daraufhin kehrte er nach Stryj zurück, wo er in der Kanzlei Jevhen Olesnyc’kyjs tätig war; 1897 Dr. iur. Ab 1903 betrieb er eine Anwaltskanzlei im ostgalizischen Zaleszczyki, ehe er 1907 der Einladung nachkam, als Anwalt in der Versicherungsgesellschaft Dnister in Lemberg zu arbeiten, deren Leitung er 1910 übernahm. In den frühen 1890er-Jahren war O. Mitglied der Ruthenisch-Ukrainischen Radikalen Partei und Vertreter sowie wesentlicher Ideologe des „jungen“ Flügels, der einem marxistischen Sozialismus anhing. 1899 fungierte er als Mitbegründer der Ukrainischen National-Demokratischen Partei (UNDP). 1907 in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats gewählt, gehörte er dort dem Ruthenenklub an, trat jedoch nach knapp einem Jahr zurück. O. betätigte sich auch journalistisch und schrieb für diverse ruthenisch-ukrainische Zeitungen und Zeitschriften. 1895 wurde er Mitarbeiter des radikalen „Narod“ und 1902 Redakteur der Tageszeitung „Dilo“. 1899 zum wirklichen Mitglied der Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften ernannt, gehörte er zeitweise deren Vorstand an. Ab 1900 fungierte er als Sekretär, ab 1902 als stellvertretender Vorsitzender der rechtswissenschaftlichen Kommission. 1906 Mitbegründer der statistischen Kommission und ab 1909 deren Vorsitzender, war er daneben 1909–13 stellvertretender Vorsitzender der ethnographischen Kommission der Gesellschaft. Seine breiten wissenschaftlichen Interessen galten u. a. ethnographischen Forschungen zum Gewohnheitsrecht, der ukrainischen Philologie („Pro naholos v ukrajins’ko-rus’kij movi“, in: Zapysky Naukovoho tovarystva im. Ševčenka 33, 1900; „Pro vyholos i naholos slova ‚Ukrajinaʻ“, in: Zapysky Naukovoho tovarystva im. Ševčenka 133, 1922) und der galizischen Statistik („Z polja nacionalʼnoj statystyky Halyčyny“, in: Studiji z polja suspilʼnych nauk i statystyky 1, 1909; „Z vyborčoj statystyky Halyčyny“, in: Studiji z polja suspilʼnych nauk i statystyky 2, 1910, gemeinsam mit Mychajlo Lozynsʼkyj). Im Rahmen seiner nationalitätenstatistischen Forschung suchte er die massenhafte Fälschung der Umgangssprachenangaben durch Volkszählungsbeamte nachzuweisen und organisierte zu diesem Zweck eine Privatzählung gemeinsam mit dem UNDP-Abgeordneten →Stanislav Severynovyč Dnistrjans’kyj. Dadurch war seine Forschung für die UNDP auch nach seinem Rücktritt als Abgeordneter zentral. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde ihm als ältestem Ausschussmitglied interimistisch die Leitung der Ševčenko-Gesellschaft übertragen. Wenig später wurde er deshalb von der zaristischen Armee verhaftet und 1915–17 in Sibirien interniert. 1918 zog O. als Abgeordneter in den Ukrainischen Nationalrat der kurzlebigen Westukrainischen Volksrepublik ein. Im polnischen Staat war er 1920–25 als Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ukrainischen (Geheimen) Universität Lemberg aktiv. Nach deren Schließung leitete er erneut eine private Anwaltspraxis. Ab 1923 war er zudem Vorsitzender der Ukrainischen Arbeitspartei, der Nachfolgeorganisation der UNDP. In dieser Funktion wurde er 1925 Mitglied der Ukrainischen National-Demokratischen Vereinigung.

Weitere W.: Pro ostanky pervisnoho komunizmu u Bojkiv-Verchovynciv v Skil’s’kim i Dolyns’kim sudovim poviti, in: Zapysky Naukovoho tovarystva im. Ševčenka 31–32, 1899; Faktyčni i fiktyvni straty rusyniv v demografičnim baljanci Halčyny za desjatyljitje 1900–10, 1912; Rusyny-latynnyky. Narys, 1912.
L.: Adlgasser; V. A. Malančuk, Etnohrafična dijal’nistʼ V. J. O., 1972; P. A. Andruchiv, Ukrajins’ki pravnyky u nacional’nomu vidrodženni Halyčyny. 1848–1939 rr., 1996, S. 56f.; H. Binder, Galizien in Wien, 2005, s. Reg.; I. Kosar, in: Ukrajina. Kul’turna spadščyna, nacional’na svidomistʼ, deržavnistʼ 17, 2008, S. 48ff., 18, 2009, S. 513ff.; I. Kosar, in: Halyčyna. Vseukrajns’kyj naukovyj ta kul’turno-prosvitnij krajeznavčyj časopys 17, 2010, S. 303ff.; I. Kosar, in: Visnyk Prykarpatsʼkoho universytetu. Istorija 19, 2011, S. 156ff.; M. Rohde, ‚Nationale Wissenschaftʻ zwischen zwei Imperien. Die Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften 1892–1918, phil. Diss. Innsbruck, 2020, S. 294ff., 374; Centralʼnyj deržavnyj istoryčnyj archiv Ukrajiny, L’viv, UA.
(M. Rohde)   
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)