Payer von Thurn Rudolf, Germanist, Historiker und Bibliothekar. * Großbetschkerek (Zrenjanin, Vojvodina), 27. 9. 1867; † Wien, 18. 6. 1932. Sohn eines Finanzbeamten; stud. 1887–92 Germanistik, klass. Philol. und Orientalistik an der Univ. Wien bei Minor (s. d.), Heinzel (s. d.), Seemüller, Wahrmund etc. Daneben war er zuerst in der Finanzlandesdion. (Wien) ab 1888 als Diurnist, ab 1893 als Offizial im Min. für Kultus und Unterricht tätig. Ab 1896 war er als Registraturs-Offizial in der Kabinettskanzlei mit der Ordnung des dortigen Archivs, später auch mit Ordnung und Verwaltung des Archivs des Ordens vom Goldenen Vlies betraut. 1905 Dr. phil. an der Univ. Prag, 1910 Kustos der k. Familien-Fideikommißbibl., 1918 Oberbibliothekar, 1919–1922 Dir., 1923 als Hofrat i. R. 1921 Habil. für neuere dt. Literaturgeschichte an der Univ. Wien. P.s Forschungsschwerpunkte entsprachen seinen jeweiligen beruflichen Aufgabenbereichen: als Archivar verfaßte er umfängliche Werke zur österr. Verwaltungsgeschichte, als Bibliothekar konzentrierte sich sein Interesse auf zentrale Themen und Gestalten der österr. Literaturgeschichte (die Wr. Volkstheatertradition, Schreyvogel, Grillparzer, s. d., Hamerling, s. d., etc.). Für seine archival. Arbeiten über das Goldene Vlies wurde er 1921 zum Wappenkg.-Stellvertreter und 1924 zum Greffier des Ordens ernannt. Im Mittelpunkt seiner literarhist. Tätigkeit stand – oft in Verbindung mit seinen orientalist. und kunsthist. Interessen – die Goetheforschung. Dabei beschäftigten ihn in erster Linie exakte positivist. Untersuchungen zum „Westöstlichen Diwan“, zu Hammer-Purgstall (s. d.) und zu Persönlichkeiten des Weimarer Hofes, aber auch Editionen chines. Lyrik und bibliophiler Bildbde. zu Goethes Leben und zur Darstellung der Faust-Gestalt in der bildenden Kunst. Damit bereitete P. ansatzweise schon jene Aspekte der Literaturwiss. vor, die sich später in der sog. Komparatistik breit entfalten sollten. Daneben war P. auch volksbildner. tätig. Ab 1894 red. er die „Chronik des Wiener Goethe-Vereins“, baute das Goethemus. auf und betrieb federführend die Errichtung des Goethedenkmals; er war ständiger Mitarbeiter am „Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft“, an Bettelheims (s. d.) „Neuer Österreichischer Biographie“, am „Jahrbuch Deutscher Bibliophilen und Literaturfreunde“ und entfaltete eine rege Vortragstätigkeit. Sein umfassendes bibliograph., literar.- und kunsthist. Wissen prädestinierte ihn schließlich zum Organisator der Schillerausst. (1905) und Goetheausst. (1932), beide in Wien, der Ausst. des Ordens vom Goldenen Vlies in Brügge (1907) und Barcelona (1929). P. wurde vielfach geehrt und ausgezeichnet.