Petschek, Ignaz (1857-1934), Industrieller

Petschek Ignaz, Industrieller. * Kolin (Kolín, Böhmen), 14. 6. 1857; † Aussig (Ústí nad Labem, Böhmen), 15. 2. 1934. Bruder des Folgenden, Cousin des Vorigen; trat 1874 als Lehrling beim Prager Bankver. ein und praktizierte zuerst in der Zuckerfabrik in Laun (Louny), dann im Aussiger Kohlenkontor des Unternehmens. Nach der Liquidation des Bankhauses (1876) ging dieses Handelsgeschäft an den renommierten Prager Kohlengroßhändler Weinmann über, bei dem P. als Reisender arbeitete. 1880 machte er sich selbständig und konnte mit der Einführung des Kohlenkommissionshandels großen finanziellen Erfolg erzielen. 1882 trat P. in Geschäftsverbindung mit der Anglobank, in deren Braunkohlenrevieren er innerhalb eines Jahrzehnts die Produktion um mehr als das Zehnfache auf 1 093 988 Tonnen zu steigern vermochte. Gleichzeitig sicherte sich P. die Aktienmehrheit einiger nordwestböhm. Kohlenbergbaue, wie der Britannia AG, der Vereinigten Britannia AG und der Duxer Kohlenges. AG. Verwaltungszentrum war Aussig, das P. großzügige humanitäre Stiftungen (Kinderpavillon im Krankenhaus, Knabenerziehungsheim, Heime für Säuglinge bzw. Lungenkranke etc.) verdankte. Am Beginn des 20. Jh., bei der Stagnation der österr. Kohlenexporte, griff P. auf oberschles. und mitteldt. Unternehmen über. Knapp vor dem Ersten Weltkrieg übernahm er nach dem Zusammenbruch des sog. Fürstenkonzerns die Sanierung der Hohenlohewerke. In der Inflationsperiode der Nachkriegsjahre forcierte P. den Ankauf von Beteiligungen, erlangte Kontrolle über wichtige Bereiche der Absatzorganisation und wurde zu einem der führenden Kohlenmagnaten Europas (Ilse Bergbau AG, Oehringen Bergbau AG, Eintracht AG, Niederlausitzer Kohlenwerke AG etc.). Beim Gen. Streik der Zwickauer Kumpel (1921) soll P. hinter den Kulissen vehement für die Stillegung dieser Betriebe und damit zur Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz eingetreten sein. In Deutschland stand seine Tätigkeit unter dem Schlagwort der „Überfremdung“ wiederholt im Mittelpunkt von Kritiken. 1939 fiel P.s gewaltiges Wirtschaftsimperium mit einem Kapitalwert von rund 232 Millionen Reichsmark der Arisierung zum Opfer.

L.: Bohemia vom 16. 2. 1934; Wr. Ztg. vom 17. 9. 1947; Enc. Jud.; Großind. Österr., Bd. 1, S. 268 ff.; Jew. Enc.; Jüd. Lex.; Otto, Erg.Bd. IV/2; Wininger; F. Schlegel, Der nordwestböhm. Braunkohlenbergbau, phil. Diss. Frankfurt a. Main, 1917, S. 50 ff., 69; F. Pinner, Dt. Wirtschaftsführer, 1924; F. J. Umlauft, Geschichte der dt. Stadt Aussig, 1960, S. 546, 574 f.; R. Hilherg, The Destruction of the European Jews, 2. Aufl. 1967, S. 76 ff.
(H. Stekl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 8 (Lfg. 36, 1979), S. 9
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