Rádl Emanuel, Philosoph. * Pischely (Pyšely, Böhmen), 21. 12. 1873; † Prag, 12. 5. 1942. Stud. Naturwiss. an der Tschech. Univ. Prag (1899 Dr. phil.) und war dann als Gymnasialprof. in Pilsen (Plzeň), Pardubitz (Pardubice) und Prag (ab 1902) tätig. 1904 Priv.Doz. für Geschichte der biolog. Wiss., 1919 o. Prof. der Naturphil. an der philosoph. (später naturwiss.) Fak. der Univ. Prag. Nach einigen Arbeiten aus dem Gebiet der Biol. und Physiol. widmete sich R. der Naturphil., um sich später ganz mit philosoph. Problemen zu befassen. Von Driesche beeinflußt, kam er zum Vitalismus in der Biol. Er betonte den Sinn des Geschehens als objektiven Naturfaktor, der sich im Geistesleben zu einem bewußten Programm des menschlichen Handelns wandelt. Seine Ansichten brachte R. bes. in der Theorie über die Nation zur Geltung. Als Schüler Masaryks (s. d.) und Vertreter von dessen Realismus versuchte er in diesem Geist die „tschechische Frage“ zu durchdenken. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stellte er sich gegen die Auflösung von Masaryks polit. Partei. 1920 gründete R. gem. mit Nejedlý den Realist. Klub und red. dessen Organ „Realistická stráž“. Überzeugt davon, daß die sozialen Auswirkungen der Kriegsfolgen wichtiger seien als die nationalen, verschärfte er seine Kritik an den nationalist. Tendenzen, wodurch er sich dem linken tschech. polit. Lager anschloß, obwohl er auch den sozialist. Parteien einen irrationalen Trieb zum Patriotismus vorwarf. Als Nejedlý mit seinen Anhängern zur kommunist. Bewegung überging, trat er in die Sozialdemokrat. Partei ein. Nach einer Weltreise (1922) wandte er sich dem Christentum zu und versuchte seine philosoph. Ansichten mit der protestant. Religion zu verbinden; er anerkannte die Theol. als Geisteswiss. und verstand die Offenbarung als bestimmte Sanktion der wiss. und philosoph. Wahrheiten, was ihn wieder zur Interpretation der Ansichten Masaryks über den religiösen Sinn der böhm. Geschichte führte. Religiöse Gesichtspunkte charakterisierten auch seine „Dějiny filosofie“ (Geschichte der Phil.), 2 Bde., 1932–33. 1934 Vorsitzender der Internationalen philosoph. Tagung in Prag. Sein postum erschienenes Werk, „Útěcha z filosofie“ (Trost in der Phil.), 1946, wurde als Revision einiger seiner Ansichten aufgefaßt. R.s Sympathien für die Kraft der Ideen, sein Widerwille gegen die Kathederphil. und ihren Selbstzweck sowie sein Gerechtigkeitsfanatismus führten ihn oft zu Widersprüchen. Die mitunter pamphletist. Art seiner sonst literar. wirksamen Ausdrucksweise begrenzte seinen Einfluß auf einen engen Kreis ergebener Anhänger und auf eine protestant. Minorität.