Rauscher Josef Othmar von, Erzbischof. * Wien, 6. 10. 1797; † Wien, 24. 11. 1875. Entstammte einer Beamtenfamilie; stud. zunächst auf väterlichen Wunsch ab 1816 an der Univ. Wien Jus, ab 1820 jedoch Theol. und war nach der Priesterweihe (1823) in der Seelsorge in Wien-Hütteldorf tätig. 1825 wurde er Prof. für Kirchengeschichte und Kirchenrecht am Lyzeum in Salzburg – wo sein späterer Förderer, Kardinal Fürst Schwarzenberg, sein Hörer war –, 1832 Dir. der Oriental. Akad. in Wien, Titularabt zur Hl. Jungfrau Maria von Monostor und Referent für kirchliche Fragen in der Staatskanzlei. Ab 1844 unterrichtete er Erzh. Franz Joseph (s. d.), den späteren K., und dessen Brüder in Religion und Phil. 1849 durch Vermittlung Schwarzenbergs zum Fürstbischof von Seckau und Administrator des Bistums Leoben ernannt, nahm er an der sich vom Josephinismus lösenden Kirchenpolitik des gesamtösterr. Staates bestimmenden Anteil, stand der Idee des österr. Zentralismus nahe und war um ein harmon. Verhältnis zwischen Kirche und Staat bemüht. 1853 Fürsterzbischof von Wien, 1855 Kardinal. R. führte als Bevollmächtigter des K. die Vorverhh., die 1855 zum Abschluß des Konkordates führten. In der folgenden liberalen Ära trat er beharrlich für die Einhaltung der Konkordatsbestimmungen ein und kämpfte vor allem gegen die Maigesetze von 1868. Als geistiger Jünger Hofbauers (s. d.) machte er sich gleicherweise verdient als Oberhirte und als Erwecker religiösen Lebens, wie das Provinzialkonzil 1858 deutlich ausweist. Er förderte Schul- und Ver. Wesen, erwarb sich Verdienste um die Errichtung neuer Pfarren und Kirchen in Wien (St. Elisabeth, 1866, St. Othmar, 1874, St. Brigitta, 1874, Maria vom Siege, 1876, St. Johann Ev., 1876) und setzte sich auch tatkräftig für die Reform der dt. Nationalstiftung Anima in Rom ein. Auf dem I. Vaticanum 1869/70 äußerte er Bedenken zur beabsichtigten Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit, reiste noch vor der endgültigen Beschlußfassung ab, unterwarf sich aber dann der Konzilsentscheidung. R. war auch als Schriftsteller bedeutend. In seiner Jugend verfaßte er Versdramen hist. Inhalts; er dichtete kirchliche Hymnen und Psalmen nach und versuchte sich im Versepos. Seine Vorbilder reichen vom Rokoko bis zum Romanzenton der Romantik; aber die stärkste Macht übte Schiller aus. R. war ein glänzender Rhetoriker. Die zahlreichen hinterlassenen Manuskripte (zur Kirchen- und Profangeschichte, Theol. und Phil. auch des dt. Idealismus) zeigen seine umfassende Bildung. R., 1860 Reichsratsabg., 1861 Mitgl. des Herrenhauses und des niederösterr. Landtags, gehört zu den bedeutendsten Bischöfen des 19. Jh. in Österr.