Redlich Josef, Politiker und Jurist. * Göding (Hodonín, Mähren), 18. 6. 1869; † Wien, 11. 11. 1936. Bruder des Vorigen, Cousin des Folgenden; stud. an den Univ. Wien (1886–90, 1891 Dr. jur.), Leipzig und Tübingen Geschichte und Jus. Nach zweijähriger Praktikantenzeit an der Statthalterei in Brünn (Brno) widmete er sich ganz der Wiss. und fand mit seinen Arbeiten zur engl. Verwaltung und über den engl. Parlamentarismus früh internationale Anerkennung. Ab 1901 Priv. Doz., 1907 Tit. ao. Prof. für Staatsrecht und Verwaltungslehre an der Univ. Wien, 1909–18 o. Prof. für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Techn. Hochschule Wien. 1906 mähr. Landtagsabg. (Dt.-fortschrittliche Partei), 1907–18 Reichsratsabg. R. profilierte sich bald als einer der angesehensten Parlamentarier, der wiederholt als Kandidat für ein Ministeramt im Gespräch war. Während des Ersten Weltkriegs entfernte er sich von seiner ursprünglich dt.-nationalen Auffassung und wurde engagierter Pazifist und Vertreter einer nationalen Verständigungspolitik. Vom 27. 10.–11. 11. 1918 fungierte er als Finanzminister im Kabinett Lammasch. Während der Kriegsjahre wandte sich R. Forschungen zur österr. Geschichte zu, aus denen das grundlegende Werk „Das österreichische Staats- und Reichsproblem“ sowie eine Biographie K. Franz Josephs (s. d.) hervorgingen. Nach der Gründung der Republik zog sich R. wieder zu seinen wiss. Arbeiten zurück, die ihm schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs mehrfach Einladungen zu Vortrags- und Vorlesungstätigkeiten an amerikan. Univ., vor allem an der Harvard Univ. in Cambridge (Mass.), gebracht hatten. 1926–34 wirkte er mit kurzen Unterbrechungen an der Harvard Univ. als Prof. für vergleichendes Staats- und Verwaltungsrecht. 1929 als Kandidat Österr. zum Ersatzrichter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag gewählt, kehrte R. nach der Kreditanstaltskrise noch einmal nach Österr. zurück und wurde 1931 für einige Monate Finanzminister im Kabinett Buresch. R.s Arbeiten zum engl. Staats- und Verwaltungsrecht und zur Geschichte Österr. im 19. und frühen 20. Jh. wurden mehrfach übers. und sind bis heute unübertroffen, sein Tagebuch und seine umfangreichen Korrespondenzen sind bedeutsame Quellen zur österr. Staats- und Kulturgeschichte.