Reinisch Simon Leo, Ägyptologe und Afrikanist. * Osterwitz (Stmk.), 26. 10. 1832; † Maria Lankowitz (Stmk.), 24. 12. 1919. Bauernsohn; stud. 1854–58 an der Univ. Wien Geschichte, klass. Philol., Sanskrit, Hebr., Arab. und Kopt.; ab 1857 Amanuensis an der Univ.Bibl. Wien, 1859 Dr. phil. der Univ. Tübingen, 1861 Priv.-Doz. für Geschichte des Orients, 1862 Priv.-Doz. für Geschichte des oriental. Altertums an der Univ. Wien. 1862 beauftragte ihn Erzh. Ferdinand Maximilian (s. d.), der spätere K. von Mexiko, seine ägypt. Smlg. auf Schloß Miramare – die erste ägypt. Smlg. in Österr. – zu betreuen. Ihm folgte er 1866 nach Mexiko, um die Leitung des Archäolog. Mus. und des Staatsarchivs zu übernehmen. Die in Mexiko gesammelten zahlreichen sprachenkundlichen Schriften sowie eigene Sprachaufnahmen sind größtenteilsverschollen. 1867 kehrte R. nach Österr. zurück. 1868 ao. Prof., 1873 o. Prof. der ägypt. Altertumskde., 1876 o. Prof. der ägypt. Sprache und Altertumskde. an der Univ. Wien. 1890/91 Dekan, 1896/97 Rektor, 1904 emer. 1899 HR, 1879 korr., 1884 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. Am Beginn von R.s wiss. Tätigkeit standen hist. Themen und solche aus der Hieroglyphen- und Keilschriftforschung, imbes. widmete er sich der Ägyptol. In „Die aegyptischen Denkmaeler von Miramar“, 1865, publ. er den Kat. der Smlg. K. Maximilians, ergänzt durch bedeutende sprachbzw. schrift- und religionskundliche Abhh. 1865/66 besuchte er mitfinanzieller Unterstützung K. Maximilians Ägypten und erwarb bei dieser Gelegenheit u. a. den Totenbuchpapyrus für die Wr. Hofbibl. Er war beteiligt an der Entdeckung und Hrsg. der bilinguen Inschrift von Tanis (abgefaßt in hieroglyph.Ägypt., Demot. und Griech.). R. gilt als der Begründer derÄgyptol. und Afrikanistik in Österr. Seine sprachenvergleichende Stud., unter bes. Berücksichtigung desÄgypt. und afrikan. Sprachen, fanden ihren ersten Niederschlag in „Der einheitliche Ursprung der Sprachen der Alten Welt“, 1873, worin sein Suchen nach einer sog. Ursprache zum Ausdruck gelangt. In der Folge widmete er sich hauptsächlich der Erforschung der Sprachenwelt Nordostafrikas. Auf zwei Afrikareisen, 1875/76 und 1879/80, nahm er eine Fülle von Sprachgut auf, wobei er bemerkenswert modern vorging, indem er sich Erz. vortragen ließ und nicht etwa einzelne Wörter oder Sätze abfragte. Seine Sprachbeschreibungen entwickelte er gänzlich von diesen lebendigen Sprachäußerungen her. Auf diese Weise sind Textsmlg., Wörterbücher und Grammatiken von etwa zehn afrikan. Sprachen – die meisten der kuschit. Sprachfamilie zugehörig – entstanden. Einzelne dieser Arbeiten sind bis heute unübertroffen. In vergleichenden Untersuchungen war R. bestrebt, die Verwandtschaft der semit. Sprachen mit den afrikan. „hamitischen“ nachzuweisen. Bes. bemühte er sich dabei um Einsicht in das geschichtliche Werden grammat. Phänomene, so in „Das persönliche fürwort und die verbalflexion in den chamito-semitischen sprachen“, 1909. Obgleich R. keine Schule im eigentlichen Sinne begründete, sind seine Arbeiten für die weiterführende nordostafrikan. Sprachforschung (zunächst C. Conti Rossini, E. Cerulli, M. M. Moreno) grundlegend geblieben. In der Sprachenvergleichung nahm R. Fragen in Angriff, die erst neuerdings wieder ins Blickfeld der Forschung getreten sind, – die Bedeutung mancher seiner Theorien wird jetzt wieder erkannt. Die durch R. begründete enge Verbindung der Fächer Ägyptol. und Afrikanistik blieb an der Univ. Wien bis 1978 bestehen.