Renner Karl, Ps. Synopticus, Rudolf Springer, Politiker und Publizist. * Untertannowitz (Dolní Dunajovice, Mähren), 14. 12. 1870; † Wien, 31. 12. 1950. Entstammte einer. verarmten Bauernfamilie; stud. 1889–94 an der Univ. Wien Jus, 1898 Dr. jur. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Hauslehrer bekam er 1895 einen Posten in der Reichsratsbibl. in Wien. Nach seiner Militärdienstzeit fand R. Kontakte zur sozialdemokrat. Arbeiterbewegung. Seine ersten Veröff. mußten wegen seiner Beamtenstellung unter Ps. erscheinen. Neben sozialökonom. Fragen behandelte er vor allem die Problematik des Vielvölkerstaates, die Struktur der Donaumonarchie und die Lösungsversuche für die Nationalitätenfrage. Nach Einführung des allg. Wahlrechtes trat R. offen in das polit. Leben ein, erlangte in Neunkirchen ein Mandat für das Abg.-Haus (1907) und wurde in den Niederösterr. Landtag gewählt, ab 1911 war er auch stark in der Genossenschaftsbewegung tätig. Bei allen Vorbehalten gegenüber den herrschenden Schichten trat er bis zum Kriegsende für die Erhaltung der Donaumonarchie ein, was ihn namentlich in den Fragen der Kriegspolitik in Gegensatz zu den Tendenzen der sog. Linken innerhalb seiner Partei brachte. R. fungierte 1918/19 als Leiter der Staatskanzlei, 1919 zeitweise als Staatssekretär für Inneres und Unterricht und Staatssekretär für Äußeres, 1919/20 neuerlich als Staatssekretär für Inneres und Unterricht und Staatssekretär für Äußeres sowie als Staatskanzler. Als Führer der österr. Delegation hatte er auch die schwere Aufgabe, den Vertrag von St. Germain zu unterzeichnen. Auch die Liquidierung der verfehlten Außenpolitik O. Bauers (s. d.) fiel ihm zu, wobei er dann im Verhältnis Österr. zu seinen Nachbarstaaten Italien und Tschechoslowakei neue Akzente zu setzen suchte. Grundsätzlich hielt aber auch er bis 1933 an einer nicht spektakulären Anschlußpolitik fest. Mit dem Ausscheiden aus der Regierung 1920 trat R. innenpolit. mehr in den Hintergrund, fungierte aber in wichtigen Angelegenheiten häufig als Sprecher seiner Partei. Nach den Ereignissen vom 15. 7. 1927 erwog er eine Koalition mit dem Bürgerblock, lehnte jedoch 1931 eine solche Konstellation ab, als der Vorschlag von der Gegenseite kam. Im selben Jahr stellte ihn seine Partei als Kandidaten für die Bundespräs.Wahl auf, ab 1931 war er Präs. des Nationalrates. Ohne die Folgen abzusehen, legte er am 4. 3. 1933 dieses Amt auf Wunsch seiner Partei zurück. Seine Versuche, die dadurch ausgelöste Lawine aufzuhalten, scheiterten. So blieb das von ihm ausgearbeitete Staatsnotstandsgesetz, das im Herbst 1933 die eingetretene Entwicklung legalisieren sollte, ein Entwurf. Ebenso ergebnislos blieb der Versuch, am 12. 2. 1934 durch Kontakte mit christlichsozialen Parteimännern den Lauf der Ereignisse aufzuhalten. Danach war er einige Zeit in Haft und zog sich dann ganz aus der Öffentlichkeit zurück. R. war immer bemüht, sich auf den Boden der jeweils gegebenen Realität zu stellen. So trat er bei der Volksabstimmung 1938 für eine Ja-Parole ein und begrüßte auch die Annexion der sudetendt. Gebiete im Herbst dieses Jahres in der Schrift „Die Gründung der Republik Deutschösterreich, der Anschluß und die Sudetendeutschen“. Die Kriegsjahre verbrachte er in Gloggnitz u. a. mit rechtswiss. und soziolog. sowie schriftsteller. Arbeiten. 1945 wurde R. Staatskanzler in der Provisor. österr. Regierung, wobei es ihm gelang, Vorbehalte der Westmächte, aber auch innerösterr. Bedenken zu zerstreuen. 1945–50 fungierte er als Bundespräs. von Österr. Vielfach geehrt und ausgezeichnet, u. a. 1947 Ehrenmitgl. der Österr. Akad. der Wiss. R.s Wirken sowie manche seiner Äußerungen sind nicht frei von Widersprüchen. Starren Ideol. wie dem marxist. Prinzip der Staatsverneinung abgeneigt, zeigte er sich stets als Pragmatiker, manchmal auch der Anpassung fähig. Er war der Baumeister der Ersten und stand an der Wiege der Zweiten Republik, er kam aus der Weite der Donaumonarchie und wurde zu einem großen Staatsmann im kleingewordenen Österr.