Richter, Eduard (1847-1905), Geograph und Historiker

Richter Eduard, Geograph und Historiker. * Mannersdorf a. Leithagebirge (NÖ), 3. 10. 1847; † Graz, 6. 2. 1905. Sohn eines Beamten; stud. 1866–69 an der Univ. Wien Dt., Geschichte (bei Aschbach, A.Jäger, O. Lorenz, alle s. d., Sickel) und Geographie (bei Simony), absolv. 1869–71 als o. Mitgl. das Inst. für österr. Geschichtsforschung. Nach Ablegung der Lehramtsprüfung für Mittelschulen (1870) unterrichtete er 1871–86 als Prof. am Gymn. in Salzburg. 1885 Dr. phil. der Univ. Wien. R., der sich zunächst durchaus als Historiker gefühlt hatte, wandte sich in Salzburg vor allem geograph. Fragen zu. 1886 o. Prof. der Geographie an der Univ. Graz, 1898/99 Rektor. 1883–85 war der begeisterte Bergsteiger Präs. des Zentralausschusses des DÖAV, 1898–1900 Präs. der internationalen Gletscherkomm. 1902 wurde er w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. Für R.s Schaffen ausschlaggebend waren zahlreiche Reisen im Raum zwischen Norwegen und Nordafrika bzw. Paris und Moskau, bes. aber in den Alpen und im Dinar. Gebirge. Die Beherrschung zweier einander gegenseitig befruchtender Wissensgebiete und ihrer Forschungsmethoden, in der die Besonderheit von R.s Wirksamkeit liegt, war die Grundlage seiner Bedeutung als hist. Geograph. Auf ihn gehen Plan und method. Grundgedanken des „Historischen Atlasses der österreichischen Alpenländer“ zurück, mit dessen Hrsg. er von der Akad. der Wiss. betraut wurde. Er konnte dafür jedoch selbst nur das Land Salzburg (erschienen 1906) bearb. Eines seiner frühesten Arbeitsgebiete war die Gletscherforschung, deren einheitliche Organisation sein Werk war. Mit der Berechnung der Größe von 1012 Gletschern der Ostalpen nach dem Stand der 70er Jahre des 19. Jh. schuf er eine Art Gletscherlex. und bot damit eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen. Auch berechnete er erstmalig für die einzelnen Alpengruppen die Höhe der Schneegrenze und gelangte so zur Erkenntnis des Einflusses der Massenerhebung auf deren Lage. Die Anwendung der hist. Quellenkritik ermöglichte ihm die Überprüfung der bis dahin vorliegenden, vielfach ungenauen und unvollständigen Nachrichten über die säkularen Gletscherschwankungen, die er bereits als das Ergebnis mehrjähriger Änderungen der meteorolog. Faktoren erkannte. R. fand über die Gletscherforschung auch zur Beschäftigung mit den Seen und wurde ab 1890 zu einem der bedeutendsten Seenforscher. Umfangreiche Lotungen und Temperaturmessungen, bes. in den Kärntner Seen, führten ihn zur Erkenntnis der sog. Sprungschicht. Auf dem Gebiete der Geomorphol., wo ihn vor allem die Formen des Hochgebirges, insbes. Fragen der Talbildung und der Glazialerosion, beschäftigten, wurde seine Erkenntnis der Bedeutung der Wandverwitterung für die Entstehung der Kare wichtig. R. verfaßte auch verschiedene länderkundliche Arbeiten und alpinist. Schriften. Als eine der führenden Persönlichkeiten des Alpenver. machte er sich bes. darum verdient, daß die Förderung der Wiss. in das Programm des Alpenver. aufgenommen wurde.

W.: Das Herzogtum Salzburg ( = Die Länder Österr.-Ungarns in Wort und Bild 5), 1881, 2. Aufl. 1889; Beobachtungen an den Gletschern der Ostalpen 1–4, in: Z.-DÖAV 14, 1883, 16, 1885, 19, 1888; Untersuchungen zur hist. Geographie des ehemaligen Hochstiftes Salzburgund seiner Nachbargebiete, in: MIÖG, Erg.Bd. 1, 1885; Die Gletscher der Ostalpen ( = Hdbb. zur dt. Landes- und Volkskde. 3), 1888; Geschichte der Schwankungen der Alpengletscher, in: Z.-DÖAV 22, 1891; Die Hohen Tauern, in: Die Erschliessung der Ostalpen 3, 1894; Die wiss. Erforschungder Ostalpen seit der Gründung des Österr. und des Dt. Alpenver., in: Z.-DÖAV 25, 1894; Über einen hist. Atlas der österr. Alpenländer, in: Festgabe für F. v. Krones, 1895, und Mitt. der k. k. Geograph. Ges. in Wien 39, 1895; Geomorpholog. Beobachtungen aus Norwegen, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 105, Abt. 1, 1896; Seestud. Erläuterungen zur 2. Lfg. des Atlas der österr. Alpenseen, in: Geograph. Abhh. 6, 1897; Geomorpholog. Untersuchungen in den Hochalpen ( = Petermanns Mitt., Erg.H. 132), 1900; Beitrr. zur Landeskde. Bosniens und der Herzegowina, hrsg. von G. A. Lukas ( = Wiss. Mitt. aus Bosnien und der Herzegowina 10), 1907; etc. Autobiographie, Manuskript, Familienbesitz, G. Stelzer, Wien. Red.: Die Erschliessung der Ostalpen, 3 Bde., 1893–94; etc. Hrsg.: Atlas der österr. Alpenseen, gem. mit A. Penck, Lfg. 2; Die Seen von Kärnten, Krain und Südtirol ( = Geograph. Abhh. 6), 1896; etc.
L.: Tagespost (Graz) vom 9. und 10. 2. 1905; O. Ampferer, E. R. †, in: Verhh. der k. k. geolog. Reichsanstalt in Wien, 1905, S. 487 ff.; C. Diener,Zur Erinnerung an Prof. E. R., in: Österr. Alpenztg. 27, 1905, S. 49 ff.; O. Jauker, E. R. †, in: Geograph. Anzeiger, 1905, S. 49 ff.; G. A. Lukas, E. R. Sein Leben und seine Arbeit, in: Programm der k. k. Staatsoberrealschule in Graz für das Schuljahr 1904/05, 1905; O. Marinelli, L’Opera scientifica di E. R., in: Rivista Geographica 12, 1905, S. 274 ff., 351 ff.; A. Mell, E. R., in: Dt. Geschichtsbll. 6, 1905, S. 186 ff.; A. Penck, † E. R., in: Mitt.-DÖAV 31, 1905, S. 29 ff.; R. Sieger, E. R., in: Österr. Rundschau 2, 1905, S. 148 ff.; H. Widmann, Dr. E. R., in: Mitt. der Ges. für Salzburger Landeskde. 45, (1905), Anhang, S. 16 ff.; M. Wutte, E. R. †, in: Carinthia I. 95, 1905, S. 63 ff., und Carinthia II, 95, 1905, S. 37 ff.; Almanach Wien 55, 1905, S. 309 ff.; E. R., in: Annales de Géographie (Paris) 14, 1905, S. 178; Prof. E. R., in: The Geographical Journal (London) 25, 1905, S. 468; E. R. † 6. 2. 1905, in: Steir. Z. für Geschichte 3, 1905, S. 1 ff.; S. Günther, E. R., in: Mitt der Geograph. Ges. in München 1, 1906, S. 371 ff.; G. A. Lukas, E. R. Sein Leben und sein Wirken, in: Geograph. Z. (Leipzig) 12, 1906, S. 121 ff., 193 ff., 252 ff.; R. Marek, E. R.s Leben und Wirken, in: Mitt. der Geograph. Ges. in Wien 49, 1906, S. 161 ff. (mit Werks- und tw. Literaturverzeichnis); O. Redlich, E. R.,in: MIÖG 27, 1906, S. 197 ff.; A. Penck, Zur Erinnerung an E. R., in: Österr. Rundschau 13, 1907, S. 57 ff.; Österr. Bergsteigerztg. vom 15. 9. 1947; Biograph. Jb. 10, 1907, S. 119 ff.; Lhotsky, Inst., s. Reg.; N. Österr. Biogr. 8, 1935, S. 125 ff.; Poggendorff 4–5; Santifaller, n. 47; Wurzbach; W. Erben, Erinnerungen an E. R., 1905; J. Frischauf, Der Alpinist und Geograph E. R., 1905; FS des Akad. Ver. dt. Historiker an der Univ. Graz, 1907, S. 11 ff.; R. Meister, Geschichte der Akad. der Wiss. in Wien 1847–1947 ( = Denkschriften Wien 1), 1947, s. Reg.
(G. Müller)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 9 (Lfg. 42, 1985), S. 122f.
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