Rohon, Josef Victor (1845–1923), Mediziner und Naturwissenschaftler

Rohon Josef Victor, Mediziner und Naturwissenschaftler. Geb. Temesbökeny, Ungarn (Butin, RO), 7. 5. 1845; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 15. 3. 1923; evang. AB. Enkel des Volksschullehrers, evangelischen Seelsorgers und politischen Schriftstellers Juraj Rohonyi (geb. Felsőkálnok, Ungarn / Horný Kalník, SK, 15. 8. 1773; gest. Glozsán, Ungarn / Gložan, SRB, 20. 10. 1831), Sohn des Lehrers Ferdinand (Nándor) Rohon (Rohonyi) (geb. Ujsove, Ungarn / Nove Šove, SRB, 31. 1. 1823; gest. Glozsán, 10. 3. 1884) und der Rosa (Rózsa) Rohon (Rohonyi), geb. Wodár (geb. Varsomlyo, Ungarn / Șemlacu Mic, RO, 1821); in 1. Ehe ab 1871 verheiratet mit Antonia Josefa Rohon, geb. Eisenhuber, verwitwete Laufner (geb. Wien, 21. 5. 1840; gest. ebd., 21. 6. 1899), in 2. Ehe ab 1901 mit Božena Rohon, geb. Šesták (geb. Libiš, Böhmen/CZ, 28. 9. 1879). – Nach dem Besuch des Gymnasiums in Ödenburg (Matura 1865) und der Ableistung des Militärdiensts studierte R. ab 1867 an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, beendete jedoch diese Ausbildung bereits im Jänner 1869 ohne Abschluss. 1871–76 hörte er medizinische Vorlesungen an der Universität Wien und war in der Folge als Assistent am Zoologisch-vergleichend-anatomischen Institut unter →Karl Friedrich Claus tätig. Ab 1879 untersuchte er, unterstützt durch ein Stipendium der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, die Anatomie und Histologie des Lanzettfischchens, woraus die detaillierte Studie „Untersuchungen über Amphioxus lanceolatus“ (in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe 45, 1882) resultierte. 1882 im pathologisch-anatomischen Laboratorium unter →Johann Kundrat tätig, wechselte R. im Frühjahr 1883 an die Universität München, wo er 1884 zum Dr. med. promoviert wurde. Seine Dissertation „Zur Anatomie der Hirnwindungen bei den Primaten“ erschien gedruckt noch im selben Jahr. Erfolglos um eine Anstellung in Österreich bemüht, studierte er 1885–88 in München Geologie und Paläontologie und arbeitete als Aushilfsassistent mit dem berühmten Paläontologen Karl Alfred von Zittel zusammen. Im Frühjahr 1888 übersiedelte R. nach St. Petersburg, wo er unter finanziell äußerst angespannten Verhältnissen als Privatgelehrter wirkte und vom Verkauf von Fossilien und mikroskopischen Präparaten an Universitäten lebte. 1895 schließlich zum ao. Professor der Histologie an die deutsche Universität in Prag berufen, übernahm er 1897 auch die Lehre aus allgemeiner und spezieller Embryologie. 1903 zum o. Professor ad personam der Histologie und Embryologie ernannt, trat R. 1915 mit Verleihung des Hofratstitels in den Ruhestand. R. ist sowohl auf dem Gebiet der Neuroanatomie als auch der Paläontologie von großer Bedeutung. Seiner ersten Publikation „Das Centralorgan des Nervensystems der Selachier“ (in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe 38, 1877) folgten sieben weitere Arbeiten zum Nervensystem von Fischen und Primaten, darunter die sehr wichtige „Histiogenese des Rückenmarkes der Forelle“ (in: Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Classe der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München 14, 1885), in der R. detailliert jene 1878 erstmals beobachteten Nervenzellen beschreibt, die heute als „Rohon-Beard-Neuronen“ bezeichnet werden und für das Phänomen des programmierten Zelltods (Apoptose) von modellhafter Bedeutung sind. Auf dem Gebiet der Paläontologie befasste er sich hauptsächlich mit Conodonten und fossilen Fischen des Erdaltertums und Erdmittelalters. Von den insgesamt 22 Arbeiten hierzu seien „Über fossile Fische vom oberen Jenissei“ (in: Mémoires de l’Académie Impériale des Sciences de St. Pétersbourg 7. Sér., 36, 1889), „Die obersilurischen Fische von Oesel“ (ebd. 7. Sér., 38, 1892, 41, 1893) und „Beiträge zur Classification der palaeozoischen Fische“ (in: Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Classe 1896, 1897) genannt. Nach ihm wurde u. a. 2004 eine Gattung fossiler Fische Rohonilepis benannt.

Weitere W.: s. Svojtka u. a., 2009.
L.: NFP, 20. 8. 1895, 16. 11. 1915; Prager Abendblatt, 27. 2. 1903; Deutsche Zeitung Bohemia, 20. 3. 1923; Lex. böhm. Länder; Masaryk; Otto; M. Navrátil, Almanach českých lékařů, 1913 (mit Bild); Časopis lékařův českých 54, 1915, S. 607f.; V. Tůma, in: Časopis lékařův českých 62, 1923, S. 384f.; Biologické Listy 9, 1923, S. 86f.; Z. Frankenberger, in: Bratislavské lekárske listy 2, 1923, S. 352ff.; J. F. Babor, ebd. 25, 1945, S. 11ff.; M. Bokesová-Uherová, in: Biológia (Bratislava) 15, 1960, S. 474ff.; L. Ivan, in: Geologické Práce, Správy 79, 1983, S. 25f., 274 (mit Bild); M. Svojtka u. a., in: Mensch Wissenschaft Magie 26, 2009, S. 123ff. (mit W.); M. Svojtka u. a., in: Österreichisch-ungarische Beziehungen auf dem Gebiet des Hochschulwesens / Osztrák-magyar felsőoktatási kapcsolatok, ed. K. L. Zsolt u. a., 2010, S. 195ff.; AVA, Lutherische Stadtkirche, UA, alle Wien; Kostel sv. Salvátora, UA, beide Praha, CZ; UA, München, D.
(M. Svojtka)  
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)