Schaeffle, Albert Eberhard Friedrich (1831-1903), Nationalökonom

Schaeffle Albert Eberhard Friedrich, Nationalökonom. * Nürtingen, Baden-Württemberg (BRD), 24. 2. 1831; † Stuttgart (BRD), 25. 12. 1903. Sohn eines protestant. Realschullehrers; für die theolog. Laufbahn bestimmt, besuchte S. das evang. Seminar in Schöntal (1844–48), trat 1848 in das Evang. Stift in Tübingen ein, flüchtete aber 1849 und nahm als Freischärler am bad. Aufstand teil. Nach seiner Rückkehr nach Tübingen arbeitete er kurze Zeit als Privatlehrer und 1850–60 als Journalist für den „Schwäbischen Merkur“, stud. aber gleichzeitig Staatswiss. an der Univ. Tübingen (1856 Dr. rer. oec.). 1860 o. Prof. Für Staatswiss. und Nationalökonomie an der Univ. Tübingen, war er Mitbegründer des Dt. Reformver. (1862), 1861–65 Mitgl. des Württemberg. Landtages; kurz nach seiner Wahl in das Dt. Zollparlament wurde S. 1868 als o. Prof. der Staatswiss. an die Univ. Wien berufen. Als Handelsminister – zugleich auch Leiter des Min. für Ackerbau – im Kabinett Hohenwart (Februar– Oktober 1871) war S. maßgeblich an den Verhh. über einen nationalen Ausgleich mit den Tschechen (Fundamentalartikel) beteiligt, verließ aber nach dem Widerstand der Dt.-Liberalen und dem Sturz des Min. bereits 1872 Wien und widmete sich, abgesehen von der kurzzeitigen Mitarbeit an Bismarcks Sozialgesetzgebung 1881/82, in Stuttgart ausschließlich seinen wiss. Stud. Die Vorschläge während seiner Tätigkeit als Handelsminister zur Verstaatlichung der Eisenbahnen bzw. zur staatlichen Kontrolle der privaten Eisenbahnges. sowie zur Einführung von Postsparkassen wurden erst anfangs der 80er Jahre verwirklicht. Bereits in seinen ersten Arbeiten zeigte S. Interesse für die soziale Frage und würdigte u. a. die Ideen F. Lassalles; überzeugt von der Unhaltbarkeit der liberalen Ges.-Ordnung, propagierte S. einen „ökonomisch sogenannten Föderalismus und Sozietarismus“. Davon ausgehend, forderte S. die Wahlrechtserweiterung als unerläßliches Mittel der polit. und sozialen Reform sowie den polit.-administrativen Föderalismus für die Donaumonarchie im Sinne eines „vernünftigen Sozialstaats“ mit zentraler Ordnung. S. war neben A. Wagner und L. Stein der führende Finanzwissenschafter des späten 19. Jh.

W.: Die Nationalökonomie oder Allg. Wirtschaftslehre, 1861; Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, 3. Aufl., 2 Bde,. 1873; Bau und Leben des socialen Körpers, 4 Tle., 1875–78, 2. Aufl. 1881; Die Grundsätze der Steuerpolitik und die schwebenden Finanzfragen Deutschlands und Österr., 1880; Die Quintessenz des Sozialismus, 1885. 14. Aufl. 1906; Die Aussichtslosigkeit der Socialdemokratie, 1885, 4. Aufl. 1893; Ges. Aufsätze, 2 Bde. 1885–86; Der nächste Krieg in Zahlen. Militär- und finanzstatist. Stud. über die Erhöhung der dt. Friedenspräsenz, 2. Aufl. 1887; Die Bekämpfung der Sozialdemokratie ohne Ausnahmegesetz, in: Z. für die gesamte Staatswiss. 2, 1890; Dt. Kern- und Zeitfragen, 2 Bde., 1894–95; Die Steuern, 2 Bde. ( = Hand- und Lehrbuch der Staatswiss., hrsg. von K. Frankenstein, 2/2–3), 1895–97; Aus meinem Leben, 2, Bde., 1905; etc. Hrsg.: Oesterr. Oekonomist, gem. mit W. Sommerfeld und F. v. Sommaruga, 1, 1869.
L.: N. Fr. Pr. vom 27. 12. 1903; O. Spann, in: Z. für die gesamte Staatswiss. 60, 1904, S. 209 ff.; O. Weber; in· Dt. Arbeit 5, 1905/06, S. 4 ff.; H. Oncken, in: Hist. Z. 60, 1906, S, 243 ff.; E. Fischer, in: Journal of Central European Affairs 2, 1942, S. 134 ff.; R. J. Gientry, in: Austrian History Yearbook 17/18, 1981/82, S. 57 ff.; Biograph. Jb. 8, 1905, S. 106 ff.; Wurzbach; E. Fabian-Sagal, A. S. und seine theoret.-nationalökonom.Lehren. 1910; R.Blum, A. S. und die geistigen Grundlagen des Kabinetts Hohenwart, 1940; E. Ch. Büchsel, Die Fundamentalartikel des Min. Hohenwart-S. von 1871 ( = Breslauer Hist. Forschungen 17), 1941; F. K. Mann, in: Handwörterbuch der Sozialwiss. 9, 1956; K. Ruso, A. S. und Österr., phil. Diss. Wien, 1960; 100 Jahre im Dienste der Wirtschaft 1, 1961, S. 388 ff.; R. Wierer, in: Probleme der böhm. Geschichte ( = Veröff., des Collegium Carolinum 16), 1964, S. 95 ff.; G. Mecenseffy, Evang. Lehrer an der Univ. Wien, 1967, S. 60 ff.; I.-A. Röhreke, A. S.s Wandlungsprozeß vom liberalen Zentralisten zum freiheitlichen Konservativen in Österr. ( = Diss. der Univ. Graz 9), 1971; 1. Internationales Soziologenlex., hrsg. von W. Bernsdorf und H. Knospe, 2. Aufl. 1980; Th. Kletečka, Der Ausgleichsversuch des Min. Hohenwart-S. mit Böhmen im Jahre 1871, phil. Diss. Wien, 1984.
(L. Kammerhofer)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 46, 1990), S. 24f.
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