Schenker, Heinrich; Ps. Arthur Niloff (1868-1935), Musiktheoretiker und Komponist

Schenker Heinrich, Ps. Arthur Niloff, Musiktheoretiker und Komponist. * Wiśniowczyk (Vyšnivčyk, Galizien), 19. 6. 1868; † Wien, 14. 1. 1935. Sohn eines Gemeindearztes; stud. 1884– 88 an der Univ. Wien Jus (1890 Dr. jur.) und 1887–90 Klavier sowie Musiktheorie am Konservatorium der Ges. der Musikfreunde, wo Bruckner (s. d.) 1887–89 sein Lehrer in Harmonielehre bzw. Kontrapunkt war. Ohne jemals einen jurist. Beruf auszuüben, trat S. gegen Ende des Jh. fast gleichzeitig als Komponist von Klavierwerken undLiedern, Musikschriftsteller und Pianist erfolgreich an die Öffentlichkeit, beschränkte sich aber bald nach 1900 mit seiner Forderung nach dem Urtext klass. Meisterwerke auf die Lösung editor. und musiktheoret. Probleme. Ohne feste Anstellung erteilte er in Wien bis zu seinem Tod Klavier- und Theorieunterricht; beides verstand er als künstler. Einheit. In seinen zahlreichen musiktheoret. Schriften hielt S. entgegen H. Riemann zwar am Begriff der Stufe fest, verlieh diesem aber eine neue Bedeutung. In seinem allmählich entwickelten ganzheitlichen Konzept werden Stimmführung (Kontrapunkt) und Harmonik engstens verflochten, daher im musikal. Sinngefüge Stufen- von Stimmführungsklängen funktional unterschieden. Es entstand S.s Schichtenlehre mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund, der dem „Ursatz“ des Kunstwerks, mit der „Urlinie“ als Oberstimme, entspricht. Die tonräumliche Gebundenheit der Stimmführung und die dem Komponisten ebenfalls unbewußte Verknüpfung der einzelnen Schichten betrachtete S. als Gütemerkmal der Komposition. Seine an Meisterwerken der Epoche J. S. Bach–Brahms entwickelte Musiktheorie, die u. a. Furtwängler bewunderte, verbreitete sich vor allem in den USA und findet neuerdings auch zur Analyse älterer und neuerer Musik Anwendung. Unter S.s Einfluß begründete sein Schüler A. van Hoboken das Archiv für Photogrammemusikal. Meisterhss. an der Österr. Nationalbibl. in Wien.

W. (tw. auch im Neudruck erschienen): Ein Beitr. zur Ornamentik, (1904), 2. Aufl. (1908), engl. in: The Music Forum 4, 1976; Neue Musikal. Theorien und Phantasien, 3 Bde., 1906–35, Bd. 3, 2. Aufl. 1956, engl. Bd. 1, 1954, Bd. 3, 1979; Beethovens Neunte Sinfonie, 1912; Der Tonwille, 10 He., 1921–24; Das Meisterwerk in der Musik, 3 Bde., 1925–30; Fünf Urlinie-Tafeln, (1932), 2. Aufl. 1969, auch engl.; zahlreiche Abhh., u. a. in Die Zukunft (Berlin), Musikal. Wochenbl., Die Zeit, Neue Revue, Wr. Ztg. (Abendausg.); etc. Hrsg.: C. Ph. E. Bach, Klavierwerke, 2 Bde., 1902–03; G. F. Händel, Sechs Orgelkonzerte, 1904; J. S. Bach, Chromat. Phantasie und Fuge, 1910; Die letzten 5 Sonaten von Beethoven. Krit. Ausg. mit Einführung und Erläuterung, 1913–20, 2. Aufl. 1971– 72; Beethoven, Sämtliche Klaviersonaten, 1921–23, Neuausg., 2 Bde., 1975. – Nachlaß, Oswald Jonas Memorial Collection, Univ. of California, Riverside, USA.
L.: D. Beach, in: Journal of Music Theory 13, 1969, S. 2ff., 23, 1979, S. 275ff.; ders., in: Acta musicologica 57, 1985, S. 275ff. (mil Werks- und Literaturverzeichnis); Grove, 1980; MGG; Riemann, 12. Aufl.; F. Salzer, Structural Hearing 1–2, 2. Aufl. (1962); O. Jonas, Das Wesen des musikal. Kunstwerks. Eine Einführung in die Lehre H. S.s, 2. Aufl. (1972); Readings in S. Analysis and other Approaches, hrsg. von M. Yeston, 1977 (mit Werks- und Literaturverzeichnis); L. Laskowski, H. S. An Annotated Index to his Analyses of Musical Works, (1978); H. Federhofer, Akkord und Stimmführung in den musiktheoret. Systemen von H. Riemann, E. Kurth und H. S. ( = Sbb. Wien, phil.-hist. Kl. 380), 1981; A. Forte – S. E. Gilbert, Introduction to Schenkerian Analysis, (1982); Aspects of Schenkerian Theory, hrsg. von D. Beach, (1983); H. Federhofer, H. S. ( = Stud. zur Musikwiss. 3), 1985.
(H. Federhofer)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 46, 1990), S. 81f.
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