Schiele Egon, Maler und Graphiker. * Tulln (NÖ), 12. 6. 1890; † Wien, 31. 10. 1918. Sohn des Bahnhofsvorstands Adolf E. S. (1850–1905), Enkel des Architekten und Eisenbahning. Ludwig S. (1817–62), des Erbauers der Böhm. Westbahn; nach dem religiösen Bekenntnis der Mutter kath. getauft. Nach dem Tod des Vaters übernahm S.s Onkel, der Eisenbahnbeamte Leopold Czihaczek, die Vormundschaft. Gegen dessen Willen stud. S. 1906–09 an der Wr. Akad. der bildenden Künste bei Griepenkerl (s. d.), mit dem es jedoch zu Unstimmigkeiten kam. In diesem Zeitraum erfolgte in seinen Werken der Durchbruch von den mehr traditionellen Strömungen der österr. Malerei zum Neuen, das S. zunächst vor allem in Klimt (s. d.) verkörpert sah. 1908 beteiligte sich S. erstmals an einer Ausst., die im Stift Klosterneuburg stattfand. S., der gem. mit verschiedenen Künstlern (u. a. Anton Peschka und A. Faistauer, s. d.) 1909 die „Neukunstgruppe“ gründete, zeigte nun den Willen zur Überwindung des Jugendstils – er wandte sich ab diesem Zeitpunkt mehr dem Expressionismus zu. Bei der Ausst. der Künstlergruppe 1909/10 im Salon Gustav Piskos in Wien lernte er den Kunstschriftsteller Arthur Roessler kennen, der ihn mit den Kunstsammlern Carl v. Reininghaus und Oskar Reichel sowie dem Verleger Eduard Kosmack bekanntmachte. In diesen Jahren (1909–11) schrieb S. auch eine Reihe von Ged. in expressionist. Sinn und begann mit einer Serie von Selbstbildnissen als Akt, die vermutlich durch den Pantomimen Erwin Osen, der sich in ekstat. Haltung von S. als Akt zeichnen ließ, angeregt wurden. Nach kurzer Tätigkeit bei den Wr. Werkstätten, die ihn mit deren Leiter Josef Hoffmann in Verbindung brachte, übersiedelte S. 1911 mit seinem Modell Wally Neuzil (1894–1917), die bis zu seiner Heirat seine Lebensgefährtin war, nach Krumau (Český Krumlov), dem Geburtsort seiner Mutter, wo er eine Anzahl kleinformatiger Stadtbilder auf Holz malte. Im selben Jahr wurde er Mitgl. der Münchner Künstlervereinigung Sema, in deren Rahmen 1912 auch seine erste Druckgraphik erschien. Wegen seiner Vorliebe, sehr junge Mädchen als Akte darzustellen, wurde er nach einigen Monaten gezwungen,Krumau zu verlassen und ging nach Neulengbach (NÖ). 1912 wurde S. sogar der Entführung einer Minderjährigen bezichtigt, in Untersuchungshaft genommen und schließlich zu einer dreitägigen Arreststrafe verurteilt. Danach zog er in ein Atelier in Wien XIII. Ab 1914 beschäftigte sich S. auch mit Radierung und Holzschnitt, Techniken, die er bei dem Maler und Graphiker Robert Philippi erlernt hatte, und begann im Zusammenwirken mit dem Maler und Photographen Anton Josef Trčka mit der Photographie zu experimentieren. In diese Zeit fällt seine fruchtbarste und bedeutendste Schaffensperiode, die bes. durch Bleistiftzeichnungen, die entweder einfärbig belassen oder nachträglich mit Wasserfarbe koloriert wurden, repräsentiert wird. Gegen Ende dieser Periode vermischen sich die mittlerweile in der Malerei gewonnenen Erkenntnisse mit den graph. Fähigkeiten – die Arbeiten der Folgezeit enthalten daher gleichermaßen Graphisches und Malerisches. 1915 heiratete S. nach evang. Ritus Edith Harms (1893–1918), die Tochter eines Maschinenschlossers, und trat seinen Militärdienst an, wobei er als Bewachungssoldat und Kanzleikraft eingesetzt wurde. 1917 plante S. mit einer Reihe von Künstlern, u. a. Arnold Schönberg und P. Altenberg (s. Engländer R.), eine Arbeitsgemeinschaft Kunsthalle, die aber nicht verwirklicht wurde. Einen großen künstler. und materiellen Erfolg erlebte S. bei der 49. Ausst. der Wr. Secession, 1918. Für die fortschrittlichen Wr. Maler erschien er nach dem Tode Klimts als Leitfigur. Auch die Presse begann S.s Arbeiten positiv zu bewerten. S. starb jedoch noch im selben Jahr, drei Tage nach seiner Frau, an der span. Grippe. S., dessen Zeichnungen der letzten Jahre immer seltener koloriert und zumeist mit grobem Bleistift oder Kreide gearbeitet sind, drückte in seinen Bildern seine innere Unruhe aus. Nicht nur seine vielen Selbstdarstellungen, in denen er sich häßlich, traurig, aufgewühlt oder ekstat. präsentiert – äußerlich gab er sich gelassen und heiter –s, zeigen seine zwiespältige Natur. Auch in den Themen seiner anderen Werke herrschen, neben einzigartigen Landschaften, die eine gewisse Melancholie ausstrahlen, das Traurige und der Tod vor (diese depressive Stimmung besserte sich nach seiner Heirat). In seinen Werken, die vielfach zu seinen Lebzeiten verkannt wurden, so z. B. wurden seine Frauendarstellungen oftmals als Pornographie angesehen, versuchte er, sein Anliegen, nämlich die wahre Darstellung des Menschen in all seinen Facetten – somit die seel. Untergründe – zu verwirklichen. Ausgezeichnet ist sein Œuvre durch Zeichner. Qualität sowie Prägnanz und Kraft des Ausdrucks. S.s Kunst, anfangs verpönt, gegen Ende des Ersten Weltkriegs angesehen, in der Zwischenkriegszeit vergessen, fand letztlich weltweit Anklang. Das beweisen die vielen internationalen Ausst., u. a. in Paris, New York, Brüssel, Chicago, London, München, Wien.