Schilder, Paul Ferdinand (1886-1940), Neurologe und Psychoanalytiker

Schilder Paul Ferdinand, Neurologe und Psychoanalytiker. Geb. Wien, 15. 2. 1886; gest. New York, N.Y. (USA), 8. 12. 1940 (Autounfall). Sohn eines Seidenzeugfabrikanten, mos.; stud. ab 1904 Med. an der Univ. Wien, u. a. bei dem Physiologen S. Exner v. Ewarten (s. d.) und dem Pathologen Anton Weichselbaum (1909 Dr. med.), ab 1909 Phil. und Zool. (1917 Dr. phil.). 1910–12 bildete er sich als Ass. bei Gabriel Anton an der Univ. Halle, 1912–14 bei Paul E. Flechsig an der Univ. Leipzig weiter und wirkte nach Dienstleistung an Militärspitälern während des Ersten Weltkriegs ab 1919 als Ass. an der Psychiatr. Klinik bei Julius Wagner-Jauregg in Wien. 1920 für Neurol. und Psychiatrie an der dortigen Univ. habil. und 1925 Tit. ao. Prof., kam er 1928 zu Gastvorlesungen nach Baltimore (Md., USA), von wo er nicht mehr in die Heimat zurückkehrte, sondern vorerst Gastdoz. an der Henry Phipps-Psychiatric-Clinic in Baltimore, 1930 klin. Dir. der psychiatr. Abt. am Bellevue Hospital in New York sowie Researchprof. für Psychiatrie am New York University College of Medicine wurde. S., der schon vor seiner Prom. wiss. tätig gewesen war und in der Folge über 250 Arbeiten veröff., beschrieb 1912 eine bes. Form der Gehirnentzündung, welche als S.sche Krankheit fortan seinen Namen tragen sollte. Während seiner Stud.Zeit mit Freud (s. d.) in Kontakt gekommen, vertiefte er ab 1920 die Beziehungen. In seiner wiss. Entwicklung kam er ausgehend von der Neurol. zur Psychiatrie bzw.Psychoanalyse und schließlich zu einer Synthese beider, da er zur Überzeugung von der Existenz einer Wechselbeziehung zwischen Psychol.-Psychiatrie und der Physiol. gelangt war. Während er seine 1914 erschienene Arbeit über Selbstbewußtsein und Persönlichkeitsbewußtsein noch unter dem Einfluß der Ideenwelt Husserls (s. d.) abfaßte, veröff. er elf Jahre später ein Werk über Psychiatrie auf psychoanalyt. Grundlage. Er prägte 1923 den Begriff vom sog. Körperschema, dem er eine grundlegende Rolle in der Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu den Mitmenschen und der Umwelt zuwies und den er 1935 zusammenfassend erläuterte. Er hinterließ ca. 400 wiss. Arbeiten. 1936 heiratete er in zweiter Ehe Lauretta Bender (1897–1987), die als seine wiss. Mitarbeiterin seine nachgelassenen Arbeiten hrsg. S. hatte zwei Söhne und eine Tochter. Obwohl etablierter Schulmediziner, propagierte er die Anwendung der Psychoanalyse im Rahmen der Psychiatrie und trug damit zu deren Verbreitung bei. Auch gehörte er zu den Pionieren der Gruppenpsychotherapie.

W.: Selbstbewußtsein und Persönlichkeitsbewußtsein ( = Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurol. und Psychiatrie 9), 1914 (auch Diss.); Wahn und Erkenntnis ( = ebenda, 15), 1917; Über das Wesen der Hypnose, 1922; Seele und Leben ( = Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurol. und Psychiatrie 35), 1923; Das Körperschema, 1923; Medizin. Psychol., 1924; Entwurf zu einer Psychiatrie auf psychoanalyt. Grundlage ( = Internationale Psychoanalyt. Bibl. 17), 1925, Neuaufl., hrsg. von H. Stierlin, (1973) (mit Biographie); Lehrbuch der Hypnose, gem. mit O. Kauders, 1926, auch engl.; Suggestion und Strafrechtswiss. ( = Abhh. aus dem jurist.-medizin. Grenzgebiete 3/4), 1926; Die Lagereflexe des Menschen, gem. mit H. Hoff, 1927; Gedanken zur Naturphil., 1928; Brain and Personality, 1931; The Image and Appearance of the Human Body ( = Psyche Monographs 4), 1935; Psychotherapy, 1938; Goals and Desires of Man. A Psychonanalytical Survey of Life, hrsg. von L. Bender, 1942; Mind: Perception and Thought in their Constructive Aspects, hrsg. von L. Bender, 1942; Psychoanalysis, Man and Society, hrsg. von L. Bender, 1951; Contributions to Developmental Neuropsychiatry, hrsg. von L. Bender, 1964; On Psychoses, hrsg. von L. Bender, 1976; usw.
L.: Archives of Neurol. and Psychiatry 45, 1941, S. 537; Journal of Nervous Mental Disease 93, 1941, S. 548; A. Meyer, ebenda, 93, 1941, S. 812; Journal of Criminal Psychopathology 2, 1941, S. 387; Psychoanalytic Review 28, 1941, S. 301; E. Stengel, in: Internationale Z. für Psychoanalyse und Imago 26, 1941, S. 377; British Journal of Medical Psychol. 19, 1942, S. 151; H. Hartmann, in: Psychoanalytic Review 31, 1944, S. 287; T. Rapaport, in: International Journal of Psychoanalysis 32, 1951, S. 291; M. R. Kaufman, in: Archives of General Psychiatry 7, 1962, S. 311; A. Adler, in: Bulletin of the New York Acad. of Medicine 41, 1965, S. 841 ff.; Enc. Jud.; Fischer; Universal Jew. Enc.; Who was Who in America 1, 1943; D. Rioch, in: The Founders of Neurology, 1953, S. 211; The Index of Psychoanalytic Writings 4, 1958, S. 1758ff.; F. H. Ziferstern, in: Psychoanalytic Pioneers, hrsg. von F. Alexander, S. Eisenstein und M. Grotjahn, (1966), s. Reg., bes. S. 457ff.; F. Ehlert, Personalbibliographien von Prof. und Doz. der Psychiatrie und Neurol. an der Medizin. Fak. der Univ. Wien . . . 1925–45, (1972), S. 12ff.; D. Langer, P. F. S., Leben und Werk, 1979 (mit Werks- und Literaturverzeichnis); K. Körrer, Die zwischen 1938 und 1945 verstorbenen Mitgl. des Lehrkörpers an der Univ. Wien, phil. Diss. Wien, 1981, S. 218; P.S. Mind Explorer, hrsg. von W. L. Roller und D. A. Haskan, 1985; UA Wien.
(K. Sablik)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 47, 1991), S. 131f.
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