Schmidt, Wilhelm Matthäus (1883-1936), Meteorologe

— Wilhelm Matthäus Schmidt, Meteorologe. Geb. Wien, 21. 1. 1883; gest. ebenda, 27. 11. 1936. Sohn des Historikers, Geographen und Schulmannes Wilhelm S., Bruder des Walter S. (beide s. d.). Stud. ab 1901 an der Univ. Wien Mathematik und Physik, u. a. bei Boltzmann und F. Exner (beide s. d.), und wurde 1905 zum Dr. phil. prom. Schon vor seiner Prom. Ass. an der Zentralanstalt für Meteorol. und Geodynamik und ab 1909 dort Abt.Vorstand und Observator, habil. er sich 1911 an der Univ. Wien für Physik der Erde, war 1919–30 Lehrbeauftragter an der Techn. Hochschule und wurde 1919 ao., 1924 o. Prof. für Meteorol. und Klimatol. an der Hochschule für Bodenkultur, 1930 o. Prof. für Physik der Erde an der Univ. und gleichzeitig mit der Dion. der Zentralanstalt für Meteorol. und Geodynamik betraut. S. zeichneten rastloser Schaffensdrang und Vielseitigkeit aus, die sich sowohl in der Wahl seiner wiss. Arbeitsgebiete, wie auch in der Leitung der Zentralanstalt zeigten. Als ausgez. Experimentator entwickelte er neue Meßmethoden sowie Versuchsanordnungen und schuf dafür selbst die instrumentellen Behelfe. Größte Beachtung fand er durch seine Versuche, den Böenvorgang und die Entstehung des Böenkopfes durch das Einfließen einer schweren Flüssigkeit unter eme leichtere anschaul. darzustellen. Zur Überprüfung dieser experimentell gefundenen Vorstellung in der freien Natur konstruierte er seinen Variographen zur Aufzeichnung kleiner Druckschwankungen. S.s bedeutendste wiss. Leistung liegt in der quantitativen Erfassung der Wirkung der ungeordneten Bewegungen in Luft und Wasser, des sogenannten „Austausches“. Für die Beobachtungen, welche die Grundlagen zur zahlenmäßigen Bestimmung von Intensität und Wirksamkeit des Austausches liefern sollten, entwickelte er die zur Erfassung rascher Änderungen notwendigen neuen Methoden und Behelfe. S., der den Fragenkomplex des Austausches in einer Monographie zusammenfaßte, wurde durch die Verfolgung von dessen Wirkung im kleinen Raum und die Verwendung der rasch ansprechenden feinen Meßmethoden zu einem neuen Forschungsgebiet, dem Klein- und Mikroklima, hingeführt. Zur Erfassung der kleinräumigen Einwirkungen auf die lokalen klimat. Besonderheiten unter dem Einfluß der Strahlungswirkung gründete er ein engmaschiges Netz von Registrierstationen für Temperatur und Feuchtigkeit, das sehr wichtige und z. Tl. Aufsehen erregende neue Einblicke in mikroklimat. Unterschiede und in deren Ursachen brachte. Method. originell, stellte er meteorolog. Feldversuche über Frostgefährdung bzw. -schutz an und ließ zur Erfassung der Unterschiede im Stadtklima mit techn. Einrichtungen ausgerüstete Autos durch die Stadt fahren und zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten Messungen vornehmen. Während seiner letzten Jahre widmete er sich auch Fragen der Bioklimatol., wie der Beziehung zwischen Witterung und Befinden des Menschen sowie dem in Form von Bekleidung, Wohnungs- und Stadtbau geschaffenen künstl. Klima, das er in der letzten seiner 198 Publ. gem. mit E. Brezina zusammenfassend behandelte. Zudem hatte sich S., selbst Ballonfahrer, auch mit Problemen der Aerol. und der Flugwetterberatung beschäftigt, über die er später an der Univ. zusätzl. Vorlesungen hielt. In seiner ihm 1913 angetrauten Gattin Gertrude hatte er eine stets verständnisvolle Partnerin. Er fand vielfache und internationale Anerkennung, so wurde er u. a. 1920 Vorsitzender, 1926 zweiter stellv. Vorsitzender des Sonnblick-Ver., 1930 wiss. Mitgl. der K. Wilhelm-Ges. zur Förderung der Wiss. und Leiter der meteorolog. Observatorien des Sonnblick-Ver., Ehrenmitgl. mehrerer ausländ. meteorolog. Ges. sowie 1928 korr. und 1931 w. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien. S., Begründer der für Ozeanographie und Landwirtschaft bedeutsamen Austauschtheorie und verdient um die Entwicklung der mikroklimat. Forschung, machte Österr. in der Zeit der Weltwirtschaftskrise zum Land mit dem dichtesten meteorolog. Beobachtungsnetz. Durch seine bioklimat. Untersuchungen aber schuf er Grundlagen für eine naturwiss.-medizin. Disziplin, die in der Gegenwart immer mehr Beachtung findet.

W.: Variograph, 1909; usw. – Publ.: Über eine Methode zur Bestimmung des adiabat. Kompressionsmoduls von Flüssigkeiten, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 114, Abt. 2 a, 1905; Zur Beobachtung und Analyse rascher Luftdruckschwankungen 1–3, ebenda, 118–119, Abt. 2 a, 1909–10, 122, Abt. 2 a, 1913; Der Einfluß der Schmelzwärme auf das Klima von Wien, ebenda, 124, Abt. 2 a, 1915, auch in: Meteorolog. Z. 33, 1916; Folgerungen aus der Böenforschung für die Luftschiffahrt ( = Das Wetter 32, Sonderh. 14–19), 1915; Wirkungen des Luftaustausches auf das Klima . . ., in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 127, Abt. 2 a, 1918; Der Massenaustausch in freier Luft und verwandte Erscheinungen ( = Probleme der kosm. Physik 7), 1925; Versuche zur Bodenatmung, gem. mit P. Lehmann, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 138, Abt. 2 a, 1929; Ein Jahr Temperaturmessungen in 17 österr. Alpenseen, ebenda, 143, Abt. 2 a, 1934; Das künstl. Klima in der Umgebung des Menschen, gem. mit E. Brezina, 1937; zahlreiche Abhh. in Fachz.; usw. Hrsg.: 32.–42. Jahresber. des Sonnblick-Ver. in Wien, 1925–35; Meteorolog. Z., gem. mit R. Süring, 48ff., 1931ff.; Bioklimat. Beibll. der Meteorolog. Z., gem. mit F. Linke, 1 ff., 1934 ff.
L.: E. Gold, in: Nature 138, 1936, S. 1086f.; F. Lauscher, in: Ciel et terre, 1936, S. 53; La météorologie, 1936, S. 517ff.; Bioklimat. Beibll. der Meteorolog. Z. 3, 1936, S. 145 f.; F. Süring, Meteorolog. Z. 53, 1936, S. 401; A. Wagner, ebenda, 54, 1937, S. 1 ff.; A. Roschkott, in: 45. Jahresber. des Sonnblick-Ver. in Wien. . . 1936, 1937, S. 3 f. (mit Bild); Almanach Wien 87, 1937, S. 226ff. (mit Bild); F. Steinhauser, in: Ger lands Beitrr. zur Geophysik 49, 1937, S. 234ff.; Az Idöjárás, 1937, S. 53ff.; Quarterly Journal 63, 1937, S. 447ff.; G. Carstens, in: Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorol. 65, 1937, S. 40 f. (mit tw. Werksverzeichnis); H. v. Ficker, in: Forschungen und Fortschritte 13, 1937, S. 16; V. Conrad, in: Z. für angewandte Meteorol. Das Wetter 54, 1937, S. 1 f.; Bulletin of the American Meteorological Society 18, 1937, S. 34; Inauguration Wien 1936/37, 1938, S. 25f.; H. Ficker, Die Zentralanstalt für Meteorol. und Geodynamik in Wien 1851–1951, in: Denkschriften Wien, math.-nat. Kl. 109, 1955, s. Reg.; F. Lauscher, in: Wetter und Leben 35, 1983, S. 1 ff. (mit vollständigem Werksverzeichnis); Kürschner, Gel.Kal., 1926–35; Poggendorff 5–7 a;Österreicher 1918–34, 1935, S. 318 (mit Bild); 100 Jahre Hochschule für Bodenkultur in Wien 1872–1972, 1, 1972, S. 174f. (mit Bild); B. Karlik – E. Schmid, F. S. Exner und sein Kreis, 1982, S. 152f.; R Böhm, Der Sonnblick. Die 100jährige Geschichte des Observatoriums . . ., (1986), s. Reg.; J. Ellwanger, Forscher im Bild 1 ( = Veröff. aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Ges. 2), 1989, S. 19, 136 (mit Bild); UA Wien.
(F. Steinhauser)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 49, 1993), S. 302f.
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