Schmolka, Marie; geb. Eisner (1890-1940), Sozialarbeiterin und Zionistin

Schmolka Marie, geb. Eisner, Sozialarbeiterin und Zionistin. Geb. Prag, Böhmen (Praha, Tschechien), 1890; gest. London (Großbritannien), 27. 3. 1940. Tochter eines Textilhändlers; mos. Vorerst im Bankwesen tätig, bereiste S. nach dem Tod ihres Gatten, des Rechtsanwalts Leopold S., in den 20er Jahren den Nahen Osten, wo ihr zionist. Engagement durch den Aufenthalt in Palästina geweckt wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Prag schloß sie sich der tschechoslowak. WIZO (Women’s International Zionist Organisation) an, wo sie bald eine führende Position einnahm. S. war Anfang der 30er Jahre die treibende Kraft des Hilfsprogramms der WIZO und des JOINT (American Joinţ Distribution Committee) für die Juden in der Karpato-Ukraine. Mitgl. der Jüd. Partei, gehörte sie deren Führungsgremium an. Nach der nationalsozialist. Machtübernahme 1933 wurde S. zu einer der bestimmenden Figuren in der Flüchtlingshilfe: u. a. engagierte sie sich bei der Demokrat. Flüchtlingsfürsorge, bei der Flüchtlingshilfe der Prager jüd. Gemeinde, beim Hilfskomitee der B’nai Brith in Prag und leitete (ab 1935) gem. mit Hannah Steiner die jüd. Flüchtlingshilfeorganisation HICEM. Weiters stand sie 1933–38 dem Zentralen Koordinierungskomitee (Comité National Tchéco-Slovaque pour les Réfugiés provenant d’Allemagne) vor und war Leiterin des jüd. Flüchtlingshilfskomitees beim Innenmin. Ab 1933 vertrat S. beim Völkerbund in Genf die tschechoslowak. Hilfskomitees und war darüber hinaus Generalsekretärin der Jewish Section des Völkerbundes in der ČSR. Ferner nahm sie als Vertreterin ihres Landes an den Sitzungen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit teil. S. wurde außerdem von JOINT und der Jewish Colonisation Association mit deren Vertretung in Prag betraut. Nach dem Einmarsch der dt. Truppen in Prag im Frühjahr 1939 stellte sie sich freiwillig der Gestapo, nachdem sie zuvor Schutzangebote verschiedener Konsulate ausgeschlagen hatte, um die Freilassung Hannah Steiners zu erreichen. Nach mehrmonatiger Haft wurde sie auf Interventionen tschech. Politiker freigelassen. Danach fuhr sie mit Wissen der nationalsozialist. Behörden zu einer Konferenz des JOINT nach Paris, um Gelder internationaler jüd. Organisationen für die von der Gestapo kontrollierte Emigration tschech. Juden aufzutreiben. Dort wurde sie jedoch vom Kriegsausbruch überrascht, weshalb eine Rückkehr nach Prag nicht mehr möglich war. S. ging nach London, wo sie sich noch an der Gründung des nationalen Rats der tschechoslowak. Juden beteiligen konnte. Mit S., die trotz ihres zionist. Engagements auch ihrer Heimat gegenüber patriot, gesinnt war, verloren sowohl die Flüchtlingshilfsorganisationen als auch die zionist. Bewegung eine Persönlichkeit, die weit über ihren Geltungsbereich hinaus Bedeutung erlangt hatte.

L.: Aufbau vom 5., 12. 4. und 3. 5. 1940; J. Weltsch, in: Jewish Chronicle, 1945, S. 188 f.; P. Heumos, in: Bohemia. Z. für Geschichte und Kultur der böhm. Länder 25, 1984, S. 253, 272ff.; Enc. Jud.; Hdb. der Emigration 1; In Memoriam M. S., 1944, Nachdruck 1970; The Jews of Czechoslovakia 1–3, 1968–84, s. Reg.; K. R. Großmann, Emigration. Die Geschichte der Hitler-Flüchtlinge, 1969, s. Reg.; The Saga of a Movement, hrsg. von F. Grove-Pollak, 1970, S. 235ff.; P. Heumos, Die Emigration aus der Tschechoslowakei nach Westeuropa und dem Nahen Osten 1938– 45 ( = Veröff. des Collegium Carolinum 63), 1989, s. Reg.; Drehscheibe Prag, Dt. Emigranten – Staging Point Prague, German Exils, 1933–39, (1989), S. 35 f., 67 (Kat.); L. Fittko, Solidarität unerwünscht, 1992, S. 87ff.; P. Becher, in: Drehscheibe Prag. Zur dt. Emigration in der Tschechoslowakei 1933–39, hrsg. von P. Becher und P. Heumos ( = Veröff. des Collegium Carolinum 75), 1992, S. 57; Central Zionist Archives, Jewish National and Univ. Library, beide Jerusalem, Israel.
(Ch. Mentschl – P. Steines)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 49, 1993), S. 341f.
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