Schober Johannes, Polizeipräsident und Politiker. Geb. Perg (OÖ), 14. 11. 1874; gest. Baden (NÖ), 19. 8. 1932. Zehntes Kind eines Amtsdieners bei der Bez.Hauptmannschaft in Perg. Nach Absolv. des Staatsgymn. in Linz stud. S. 1894–98 an der Univ. Wien Jus; 1898 abs. jur. Nach kurzer Tätigkeit beim Wr. Magistrat trat er im Dezember 1898 als Konzeptspraktikant in den Dienst der Wr. Polizei. S. war in den Bez.Kommissariaten Rudolfsheim und Innere Stadt, 1908–09 im Präsidium der Wr. Polizeidion. tätig. 1909–13 dem Min. des Innern zugewiesen, wurde er im Mai 1913 in das Polizeipräsidium rückversetzt und der Staatspolizei zugeteilt, deren Leitung er im Juni 1914 übernahm. Im Juni 1918 wurde er zum HR und Leiter der Wr. Polizeidion. ernannt, im November, bereits in der Republik, in seiner Funktion als Präs. bestätigt; Anfang Dezember wurde ihm auch die Leitung des gesamten öff. Sicherheitsdienstes österr. übertragen. Insbes. durch rigoroses Vorgehen gegen die Kommunisten 1919 erlangte er seinen Ruf als Repräsentant von Ruhe und Ordnung. Nach einem gescheiterten Regierungsbildungsversuch 1920 wurde er im Jahr darauf von den Großdt. für den Posten des Bundeskanzlers vorgeschlagen und stand von Juni 1921 bis Mai 1922 (mit eintägiger Unterbrechung) als Parteiunabhängiger einer Beamtenregierung vor, blieb jedoch wie auch bei seiner späteren Kanzlerschaft stets auf die Unterstützung der Christl.-Sozialen angewiesen. Während dieser seiner ersten Regierungsperiode leitete er zeitweise auch das Innen-, Außen-, Unterrichts- und Finanzmin. Da die Großdt. den Vertrag von Lana mit der Tschechoslowakei vom Dezember 1921, der neben wirtschaftl. Vereinbarungen auch das Anschlußverbot enthielt, heftig kritisierten, bildete S. das Kabinett im Jänner 1922 um und verzichtete selbst auf die Führung des Außenmin. Im Mai 1922 wurde er jedoch, trotz erfolgreicher Verhh. auf der Wirtschaftskonferenz von Genua, v. a. durch die Großdt., aber auch unter Mitwirkung seines Gegenspielers Ignaz Seipel als Bundeskanzler gestürzt. Nun übernahm S., der als Polizeipräs. für die Zeit seiner Regierungstätigkeit beurlaubt gewesen war, wieder die Leitung der Polizei und trachtete dort, den sozialdemokrat. Einfluß zu verringern. Daneben bemühte er sich um die Zentralisierung des Polizeiwesens und den Ausbau der Polizei auf allen Ebenen, so beim Nachrichtendienst, im Fürsorgewesen sowie bei Verkehrs- und Kriminalpolizei. Auf internationalem Gebiet machte sich S. beim Wr. Polizei-Kongreß 1923 um die Schaffung der Interpol verdient und war bis zu seinem Tod Vors. der Internationalen Kriminalpolizeil. Komm. Umstritten war seine Rolle bei den Ereignissen des 15. Juli 1927: Unzureichende Polizeimaßnahmen, Militärassistenz und S.s Schießbefehl hatten beim Justizpalastbrand zu 89 Toten geführt und ihm von sozialdemokrat. Seite den Ruf eines „Arbeitermörders“ eingebracht. Nach erfolgloser Kandidatur bei den Bundespräsidentenwahlen 1928 wurde er – bes. mit Unterstützung der Heimwehren – im September 1929 wieder Bundeskanzler sowie zeitweise Min. für Äußeres (interimist. stand er auch den Min. für Unterricht, Finanzen sowie für Handel und Verkehr vor). Unter Einbeziehung der Sozialdemokraten und gegen die Vorstellungen der Heimwehren gestaltete er 1929 die Verfassungsreform. Außenpolit. konnte er v. a. die Aufhebung der österr. Reparationsverpflichtungen auf der Haager Konferenz 1930 sowie eine Annäherung an Italien erreichen. Wegen einer personalpolit. Auseinandersetzung (Affäre Strafella) mußte S. im September 1930 demissionieren. Danach kandidierte er als Spitzenkandidat der Wahlvereinigung „Nationaler Wirtschaftsblock und Landbund“ (sog. „Schoberblock“), die, bestehend aus Großdt., Landbund und kleineren Wählergruppen, bei den Wahlen 1930 19 Mandate erhielt. Ab Dezember 1930 war S. in den christl.-sozialen Regierungen Ender und Buresch Vizekanzler und Außenmin. Nachdem der von ihm gem. mit seinem reichsdt. Kollegen Julius Curtius projektierte Plan einer dt.-österr. Zollunion gescheitert war, wurde S. zunehmend zum Hindernis für die Erlangung einer Auslandsanleihe, sodaß das Kabinett Buresch im Jänner 1932 zurücktrat, um ihn aus der Regierung zu entfernen. S. behielt allerdings sein Nationalratsmandat und engagierte sich trotz seines zunehmend schlechter werdenden Gesundheitszustands noch für seine eigene Wahlvereinigung, die „Österreichische Wirtschaftspartei“. S., 1930 mit mehreren Ehrendoktoraten ausgez., war eine der dominierenden Persönlichkeiten der Ersten Republik. Monarchist. Traditionen verbunden und dt.national eingestellt, war er seinem Selbstverständnis nach der unparteiische, unpolit. Beamte, der – als Repräsentant bürgerl. Interessen – in den Sozialdemokraten seine Gegner sah. Als Bundeskanzler konnte er wohl beachtenswerte Erfolge erzielen, scheiterte aber jeweils an innenpolit. Querelen, die er durch ungeschicktes Taktieren mitverursacht hatte. Durch seine Schlüsselposition als Wr. Polizeipräs. verfügte er über zahlreiche Informationen und hatte gute Kontakte zu den Medien, die er polit. einzusetzen verstand. Diese Hausmachtpolitik und die Aufrüstung der Polizei machten S. zu einem bestimmenden Faktor der österr. Innenpolitik.