Schöffel, Joseph (1832-1910), Politiker und Publizist

Schöffel Joseph, Politiker und Publizist. Geb. Přibram, Böhmen (Příbram, Tschechien), 29. 7. 1832; gest. Mödling (NÖ), 7. 2. 1910. Aus einer Bergbeamtenfamilie stammend, Sohn eines Bergrats, Bruder des Folgenden. Absolv. das Piaristengymn. und die phil. Jgg. in Budweis (České Budějovice). Ab 1849 diente er in der österr. Armee, u. a. auf dem italien. und ung. Kriegsschauplatz. 1863 quittierte er den Dienst im Rang eines Oberlt., wurde jedoch 1866 aushilfsweise als Etappenoff. am Wr. Nordbahnhof eingesetzt. Die dabei gemachten Erfahrungen verarbeitete er in einer im selben Jahr anonym erschienenen Stud. über das österr. Heeressystem. 1863–69 arbeitete S. als Volontär an der Geolog. Reichsanstalt in Wien (ab 1865 korr. Mitgl.), wo er sich vorwiegend auf kristallogenet. Gebiet betätigte. Neben weiteren wiss. Stud. war er u. a. für den Ver. für Landeskde. von NÖ sowie den Reichsforstver. tätig. Befreundet mit Kürnberger, Klemm und Schlögl (alle s. d.), verf. S. daneben Feuilletons und Übers. für Z. – später schrieb er auch für Karl Kraus’ (s. d.) „Die Fackel“ – sowie Ztg.Beitrr. zu allg. und tagespolit. Themen. So griff er ab 1870 mit einer Artikelser. im „Neuen Wiener Tagblatt“, danach in der „Deutschen Zeitung“ in die Diskussion über den zur Sanierung der Staatsfinanzen geplanten Verkauf des Wienerwaldes und über die damit verbundenen Negativfolgen durch Abholzungen und Parzellierungen ein. Insbes. durch die Aufdeckung von Korruption und Mißwirtschaft in der Forstverwaltung konnte er die Öffentlichkeit für die Erhaltung des Wienerwaldes mobilisieren – wofür ihm die dankbaren Wienerwaldgmd. mit der „Schöffelwarte“ bei Purkersdorf 1873 ein Denkmal setzten – und so indirekt die Reorganisation des Forstwesens bewirken. Dieser Erfolg bildete die Basis für S.s polit. Laufbahn. Ab 1873 Bgm. von Mödling, war er maßgebl. für die Modernisierung der 1875 zur Stadt erhobenen Gmd. verantwortl., so wurden die Finanzen saniert und ein neuer Ortsteil, die „Schöffelvorstadt“, angelegt. 1882 akzeptierte S. seine Wiederwahl nicht mehr, gehörte jedoch bis 1885 dem Gmd.Rat an. Als Abg. im Reichsrat (1873–82) vertrat er bes. die Interessen des Mittelstands und des Kleinbürgertums. 1874 konnte er den Plan des Ackerbaumin., die sog. Duckhüttler im Wienerwald zu enteignen, verhindern. 1875 machte er in einer Reichsratsrede als erster auf die Gefahr, die die nach Österr. eingeschleppte Reblaus für den Weinbau darstellte, aufmerksam. Bes. bedeutsam war sein Wirken im nö. Landtag (1878–1902) bzw. als Landesausschuß (1884–1902), engagierte er sich doch für die Sanierung und Modernisierung des Straßennetzes sowie – zur Vermeidung der Vagabondage – für die Einrichtung von Zwangsarbeitsanstalten und sog. Naturalverpflegsstationen, die auch als Arbeitsvermittlungsstellen dienen sollten. Ein bes. Anliegen war ihm die Jugendfürsorge: So war seiner Initiative die Stiftung des 1886 eröffneten Mödlinger Waisenhauses durch den mit ihm befreundeten Anatomen Hyrtl (s. d.) zu verdanken. Seinen pädagog. Vorstellungen gemäß nach dem Vorbild militär. Kadettenanstalten konzipiert, verfügte sie auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung über mehr als 500 Plätze für Waisen beiderlei Geschlechts. Bis zu seinem Tod hatte S., auch Stiftungskurator, die Aufsicht über diese Anstalt, deren prominentester Zögling der Dichter Josef Weinheber war. S., ein unbequemer Mahner, dem sein choler. Temperament oft Probleme im Umgang mit anderen bereitete, hatte nicht nur auf organisator. und publizist. Gebiet Bedeutendes geleistet, sondern auch versucht, selbst vorbildhaft zu handeln; so hatte er bei seinem Eintritt in den Reichsrat auf seine Off.Charge und seine Off.Pension verzichtet, um unbeeinflußt Mißstände innerhalb der Armee aufzeigen zu können. In seinem Memoirenwerk „Erinnerungen aus meinem Leben“ (1905) entwarf er ein pessimist. Bild der polit. Zukunft Österr.-Ungarns.

W.: Oesterreichs System als die einzig wahre Ursache seiner Niederlagen vom militär. Standpunkte aus betrachtet …, 1866; Der Verkauf des Wienerwaldes, in: NWT, 25. 4. 1870; Die gerichtl. Erkenntnis in Sachen des Wienerwaldes, in: Dt. Ztg., 22. 1. 1872; Verwaltungs-Ber. der Gmd.-Vertretung der Stadt Mödling in der Verwaltungsperiode 1874–79 …, 1879; Die Institution der Natural-Verpflegs-Stationen (, der Zwangsarbeitsund Besserungsanstalten) und ihre Einwirkung auf die Eindämmung des Landstreicher- und Bettelunwesens in NÖ, 1887, 2. Aufl. 1900; Der Parlamentarismus, in: Die Fackel 4, 1902, n. 116f.; Immunität und Incompatibilität, ebenda 4, 1902, n. 125; Geschichte der Gründung und Entwicklung des von … Dr. J(osef) Hyrtl gestifteten Waisenhauses für arme Waisen des Landes NÖ, 1903; zahlreiche Reden, Beitrr. in Ztg. und Z. usw.
L.: Fremden-Bl., N. Fr. Pr., Wr. Ztg., NWT (alle Abendausg.), 8., NWT, RP, 9. 2. 1910; Illustrierte St. Pöltner Ztg. (Beilage zur St. Pöltner Ztg.), 17. 2. 1910 (mit Bild); Hahn, 1873, 1879; Wurzbach; K. Giannoni, Geschichte der Stadt Mödling, 1905, bes. S. 280; J. Gaunersdorfer, in: 41. Jahres-Ber. der Landwirtschaftl. Lehranstalt „Francisco-Josephinum“ in Mödling 1910, 1910, S. 12ff.; K. F. Kocmata, J. S., der Erhalter des Wienerwaldes, 1912; A. Schachinger, in: Unsere Heimat, NF 4, 1931, S. 217ff. (mit Bild); M. Glangl, Dem Andenken an J. S. …, 1932 (mit Bild); J. S. Der Retter des Wienerwaldes, 1952 (mit Bild); A. Kurir, in: Allg. Forstztg. 80, 1969, S. 262ff.; U. Moßler, J. S. …, phil. Diss. Wien, 1972 (mit Bild); Mödling. Landschaft, Kultur und Wirtschaft, 1975, S. 160ff., 257ff.; K. Lukan, Das Wienerwaldbuch, 1980, S. 116f., 120; L. Toman, in: Nö. Kulturberr., 1982, Juli/August, S. 6f.; J. Fuchs, J. S. als Umweltpolitiker, phil. DA Wien, 1985 (mit Bild); G. Trumler, Das Buch vom Wienerwald, 1985, s. Reg., bes. S. 125ff.; K. Götzl, FS zur 100jährigen Wiederkehr der feierl. Eröffnung der „Dr. J(osef) Hyrtl’schen Waisenstiftung in Mödling“ …, 1986, bes. S. 35ff. (mit Bild); E. Rabl, in: Jb. für Landeskde. von NÖ, NF 52, 1986, S. 252ff.; K. Fischer, in: Wr. Geschichtsbll. 44, 1989, Beih. 2, S. 8ff.; P. Karanitsch, in: Der Anatom J. Hyrtl 1810–94, 1991, S. 105ff.; KA Wien.
(S. Petrin)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 51, 1995), S. 11f.
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