Schönherr, David (Wendelin) von (1822-1897), Archivar, Kunsthistoriker und Kulturhistoriker

Schönherr David (Wendelin) von, Archivar, Kunst- und Kulturhistoriker. Geb. Pflach (Tirol), 20. 10. 1822 (Taufdatum); gest. Innsbruck (Tirol), 17. 10. 1897. Sohn eines aus dem Vinschgau stammenden Zolleinnehmers. Absolv. nach dem Besuch der Gymn. in Meran (Merano/Meran) und Hall i. Tirol ab 1839 die phil. Jgg. an der Univ. Innsbruck, trat 1841 in das Priesterseminar Brixen (Bressanone/Brixen) und 1843 als Novize (Klostername Alphons) in das Kloster Marienberg ein. 1844/45 stud. er bei den Kapuzinern in Meran, besuchte 1845/46 den letzten Theol.Kurs in Marienberg, verließ aber 1846 den Orden. Er stud. dann 1846/47 Technol. an der Techn. Abt. des Polytechn. Inst. in Wien, kehrte aber 1848 nach Innsbruck zurück, wo er 1852–55 das Jusstud. absolv. und bei J. v. Ficker (s. d.) hist. Vorlesungen hörte; 1858 Absolutorium, 1866 aufgrund seiner Stud. zur Geschichte und Altertumskde. Tirols Dr. phil. der Univ. Tübingen. 1849 übernahm S. die Red. der „Tiroler Volksund Schützen-Zeitung“, trat darin gegen die Zentralisierungstendenzen des Neoabsolutismus auf, geriet wiederholt in Konflikt mit der Polizei sowie den polit. Behörden und führte durch seinen journalist. Kampf gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Italiener die Ztg. in deren größte Erfolgsperiode. Veranlaßt durch deren nach der Konstitution von 1861 einsetzenden Niedergang, wandte sich S., dessen Interesse an hist. Quellenstud. bei Ficker geweckt worden war, verstärkt seinen hist. Arbeiten zu. 1866 kam er als administrativer Referent der Landesverteidigungsbehörde für die Ordnung der Archivalien zur Tiroler Statthalterei, avancierte 1869 zum Offizial mit dem Titel Archivar, 1875 zum Hilfsämterdion.Adjunkten, 1896 zum Archivdir. und trat 1897 i. R. Als erster wiss. Archivar betreute er das 1866 institutionalisierte Statthaltereiarchiv, heute Tiroler Landesarchiv. Durch Ordnung und Erschließung der Bestände für die Wiss. sowie ein 1871–73 errichtetes Archivgebäude gestaltete er die Institution zu einem der damals modernsten Archive Österr.-Ungarns aus. Selbst verfaßte er etwa 6.000 Regesten für die Zeit von 1490 bis 1626, war Mithrsg. des „Archivs für Geschichte und Alterthumskunde Tirols“ und publ. ca. 50 kunstgeschichtl. sowie ca. 120 kulturhist. Abhh. Daneben machte er sich auch um die Erhaltung zahlreicher kleinerer Kunstdenkmäler verdient, v. a. aber um die landesfürstl. Burg in Meran sowie um Schloß Tirol. 1851–68 Unter-, dann bis 1871 Oberschützenmeister am Landeshauptschießstand in Innsbruck, war er maßgebl. an der Ausrichtung großer Schützenfeste beteiligt und errang damit die Anerkennung höchster polit. Kreise. 1859 und 1866 organisierte er die Bildung von Schützenkomp. für den Kriegseinsatz. 1849 ehel. er die 17 Jahre ältere verwitwete Anna v. Plankenstein, geb. Kirchlehner (geb. Meran, 1. 10. 1805; gest. Innsbruck, 16. 1. 1893), die ihm nicht nur finanzielle Unabhängkeit sicherte, sondern auch seine vielfältigen Talente zu fördern wußte. Aufgrund seiner zahlreichen Verdienste fand er in mehrere gel. Institutionen Aufnahme und wurde u. a. 1857 Kurator, dann Fachdir. des Mus. Ferdinandeum, 1867 Ehrenmitgl. der Allg. Geschichtsforschenden Ges. der Schweiz, 1869 des Militärwiss. Ver. in Innsbruck, 1897 der Hist. und antiquar. Ges. Graubündens, 1875 Konservator, 1885 Korrespondent der Central-Comm. zur Erforschung und Erhaltung der Kunstund hist. Denkmale in Wien, 1891 korr. Mitgl. der Akad. der Wiss. in Wien, 1896 des Archivrates, ferner 1866 k. Rat, 1896 HR, 1885 Ehrenbürger von Meran, 1891 von Latsch und 1885 nob. 1862 erhielt er von Michael Hübner den S.-Marsch gewidmet, 1897 eine S.-Medaille und ein Denkmal in der Meraner Burg. In seinen in leichtfaßl. Stil abgefaßten Publ. verband S. die krit. Analyse von schriftl. Quellen mit Stud. am Objekt, wirkte mit seinen Arbeiten über das Maximiliangrab in der Innsbrucker Hofkirche sowie über Alexander Colin method. international bahnbrechend und schuf 1886 mit seiner Abh. über die von ihm geleitete Institution die erste Bestandsübersicht eines größeren österr. Archivs.

W.: Franz Schweyger’s Chronik der Stadt Hall 1303–1572 (= Tirol. Geschichtsquellen 1), 1867; Über die Lage der angebl. verschütteten Römerstadt Maja, 1873; Das Schloss Runkelstein bei Bozen, 1874; Der Krieg K. Maximilian I. mit Venedig 1509, in: Organ der Militär-wiss. Ver. … 13, 1876, auch selbständig; Die Heirat Jakob III. von England und die Entführung seiner Braut aus Innsbruck 1719, 1877; Aus dem Leben des Ritters Christof Reifer v. Altspaur …, 1882; Geschichte und Beschreibung der alten Landesfürstl. Burg in Meran, 1882, 2. Aufl. (= Ellmenreichs Bücher aus Tirol 2), 1892; Das Schloß Schenna, 1886; Das k. k. Statthalterei-Archiv zu Innsbruck, in: Archival. Z. 11, 1886, selbständig 1887; Alexander Colin …, 1889; Ein vergessenes Werk Guido Reni’s für die Kapuzinerkirche in Breisach, in: MIÖG, Erg.Bd. 5, 1896; Drei Thortürme aus dem alten Innsbruck, gem. mit K. Klaar, 1900; Ges. Schriften, hrsg. von M. Mayr, 2 Bde., 1900–02 (mit biograph. Einleitung); usw. – Nachlaß, Tiroler LA, Innsbruck.
L.: Innsbrucker Nachrichten, 22. 10. 1942 (mit Bild); Dolomiten, 22. 10. 1955; Biograph. Jb. 2, 1898, S. 231ff., 4, 1900, Sp. 96 (Totenliste); Wurzbach; O. Redlich, D. v. S., in: Z. des Ferdinandeums für Tirol und Vbg., F. 3, 42, 1898, S. 1ff., auch selbständig (mit Bild und Werksverzeichnis); Almanach Wien 48, 1898, S. 287ff.; M. Mayr, in: Forschungen und Mitt. zur Geschichte Tirols und Vbg. 3, 1906, S. 252ff.; Tiroler Ehrenkranz, hrsg. von A. Lanner, 1925, S. 180f. (mit Bild); O. Stolz, Geschichte und Bestände des Staatl. Archives (jetzt Landesregierungs-Archives) zu Innsbruck, 1938, s. Reg., bes. S. 60f.; ders., Geschichte des Landes Tirol 1, 1955, S. 93; W. Goldinger, Geschichte des österr. Archivwesens (= Mitt. des Österr. Staatsarchivs, Erg.Bd. 5), 1957, S. 35; A. Lhotsky, Österr. Historiographie, (1962), S. 222; H. Kramer, in: MIÖG 71, 1963, S. 485, 490; K. Spielmann, Ehrenbürger und Ehrungen … 2, 3. Aufl. 1967; G. Oberkofler, Die geschichtl. Fächer an der Phil. Fak. der Univ. Innsbruck 1850–1945 (= Veröff. der Univ. Innsbruck 39), 1969, s. Reg.; G. Pfaundler, Tirol Lex., 1983; Ch. Schwaighofer, Literar. Gruppen in Tirol, phil. Diss. Innsbruck, 1983; J. Fontana, Geschichte des Landes Tirol 3, 1987, s. Reg. (mit Bild); E. Wallnöfer, Dr. S.: Historiker und Publizist (1822–97), phil. Diss. Innsbruck, 1990 (mit Bildern und tw. Werksverzeichnis); W. Leesch, Die dt. Archivare 1500–1945, 2, 1992; AVA Wien.
(R. Schober)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 51, 1995), S. 82f.
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