Schrammel, Johann (1850-1893), Musiker und Komponist

Schrammel Johann, Musiker und Komponist. Geb. Neulerchenfeld, NÖ (Wien), 22. 5. 1850; gest. Wien, 17. 6. 1893. Sohn des Kaspar Schram(m)el (geb. Hörmanns b. Litschau/Litschau, NÖ, 6. 1. 1811; gest. Langenzersdorf, NÖ, 20. 12. 1895) und (Eheschließung 1853) der Volkssängerin Aloisia Ernst (1829–1881), Bruder des Joseph S. (geb.Ottakring, NÖ/Wien, 3. 3. 1852; gest. Wien, 24. 11. 1895), Halbbruder des Konrad S. (1833–1905), der, 1866 als Invalide aus dem Militärdienst entlassen, ab 1869 seinen Lebensunterhalt als Drehorgelspieler bestritt. Kaspar S., gelernter Weber, war schon früh in Dorfkapellen als Klarinettist tätig, ab 1846 lebte er als Musiker in Neulerchenfeld, einem Zentrum volkstüml.-musikal. Wirtshausproduktionen. S. wirkte ebenso wie sein Bruder Joseph schon als Kind bei den Auftritten des Vaters als Geiger mit (1861 gilt als Beginn ihrer öff. Tätigkeit), doch erhielten beide – ein für ihre Verhältnisse ungewöhnl. Schritt – auch eine Ausbildung am Wr. Konservatorium der Ges. der Musikfreunde. S. war dort 1862–63 Violinschüler Georg Hellmesbergers (s. d.), 1864 bis zu seinem Ausschluß (aus ungeklärten Ursachen) 1866 Karl Heißlers, Joseph 1865/66 ebenfalls Schüler Hellmesbergers. Nach dem Militärdienst (1866–72, 1870 Korporal) spielte S. in einigen „Nationalquartetten“ und wurde 1875 Mitgl. der Salonkapelle Karl Margold, die in großen Wr. Etablissements ein breit gestreutes Repertoire vortrug. 1878, in einer Zeit der Krise der Salonkapellen, gründete S. auf Vorschlag Josephs (der nach einer Kunstreise im Orient – 1869–71 – bis 1875 in verschiedenen Wr. Ensembles, dann als Leiter einer eigenen Ges. gespielt hatte) gem. mit diesem ein Volksmusikterzett („Nußdorfer Terzett“), in dem Joseph die 1., er selbst die 2. Geige und zunächst F. Draskovits, bald aber Anton Strohmayer die Kontragitarre spielte. Das Terzett, zu dessen Bezeichnung bald auch der Name der Brüder verwendet wurde, wurde durch seine ao. Leistungen sehr rasch zu einem Begriff. 1884 verband es sich mit dem ausgezeichneten Klarinettisten (G-Klarinette, sog. „picksüßes Hölzl“) Georg Dänzer (geb.Hernals, NÖ/Wien, 21. 3. 1848; gest. auf hoher See, 23. 4. 1893) zum Quartett „Gebr. Schrammel, Dänzer und Strohmayer“, das in dieser Besetzung bis zum Ausscheiden Dänzers Ende 1891 – Strohmayer verließ das Quartett Ende 1892 – verblieb; an die Stelle der Klarinette trat nun die Knopfharmonika. Diese zweite Version hat sich in der wiener. Musik schließl. durchgesetzt; erst die Neubelebung der Schrammelmusik seit der Mitte der 60er Jahre unseres Jh. hat auf die ursprüngl. Quartettbesetzung zurückgegriffen. Im Wr. Musikleben spielten die „Schrammeln“ eine Doppelrolle: Das Ensemble war in fast allen Etablissements der Stadt und ihrer Vororte zu hören, wurde aber auch in die Palais der Aristokratie eingeladen. Bei ihren Produktionen traten sie zusammen mit „Natursängern“, unter denen sich zahlreiche Fiaker befanden, auf. Die konzessionierten Volkssänger ließen diese Vorträge zeitweise verbieten, weswegen die Brüder S. eine eigene Lizenz beantragten, die sie 1890 auch erhielten. Äußerst erfolgreiche Gastspielreisen führten das Quartett 1888 und 1889 durch Deutschland, der letzte Höhepunkt waren die tägl. Produktionen anläßl. der Internationalen Ausst. für Musik- und Theaterwesen in Wien, 1892, doch mußte sich S. wegen seiner zunehmenden Herzkrankheit dann zurückziehen. Er starb ebenso wie Joseph, der das Ensemble, selbst bereits schwerkrank, weiterführte, völlig mittellos. Als Komponist schloß S. an seine Vorläufer an (so gab er 1888 3 He. „Alte oesterreichische Volksmelodien …“ heraus), seine (zu etwa 1/3 gedruckten) über 250 Werke (auch gem. mit dem allerdings weniger produktiven Joseph) umfassen Lieder, Duette, Walzer, Polkas und Märsche (u. a. „Wien bleibt Wien“, 1886), Josephs bekannteste Komposition ist das Lied „Vindobona, du herrliche Stadt“. Die „Schrammeln“ und „Schrammelmusik“ „blieben als Begriffe für ein volkstüml. Ensemble und ein entsprechendes Musizieren erhalten“ (W. Deutsch). Zwar waren Besetzung und Kompositionsstil durch ihre Vorläufer bereits vorgegeben, doch waren sie das beste und produktivste Ensemble ihrer Zeit. Ihre techn. und interpretator. Fähigkeiten fanden enthusiast. Widerhall in allen sozialen Schichten, aber auch höchste Anerkennung von Musikern wie Brahms, H. Richter (beide s. d.) und Johann Strauß.

L.: Illustrirtes Wr. Extrabl., 2. 10. 1883 (Abendausg., für Kaspar S.), 18. 11. 1887 (Abendausg.), 17. (Abendausg.) – 18. 6. 1893, 21. 12. 1895 (Abendausg., für Kaspar S.); NWT, 7. 10. 1883, 17. (Abendausg.) – 18., N. Fr. Pr., 17. (Abendausg.) – 18., Fremden-Bl., 18. 6. 1893; Wr. Bilder, 10. 12. 1899; Neuigkeits-Welt-Bl., 14. 5. 1931; Groner; Grove, 1980; MGG; Renner, Nachlässe WStLB; R. A. Moißl, Die Schrammel-Dynastie (= Niederdonau. Ahnengau des Führers … 96/97), (1943); H. Mailler, Schrammel-Quartett, 1945; F. Niklas, in: Rund um den Bisamberg 3, 1966, S. 55ff. (für Kaspar S.); Lied und Volksmusik in Wien (= 25. Sonderausst. des Hist. Mus. der Stadt Wien), Wien 1968, S. 32ff. (Kat.); N. Simmer, in: Das Waldviertel 30, 1970, S. 170ff.; H. Hauenstein, Chronik des Wr. Liedes, (1976), S. 166ff.; Österr. Blasmusik 25, 1977, n. 2, S. 4; K. Dieman, Schrammelmusik, (1981); M. Semper, in: 600 Jahre Stadt Litschau …, (1986), S. 51ff.; G. Stradner, in: Stud. organologica. FS für J. H. van der Meer, hrsg. von F. Hellwig, 1987, S. 445ff.; Schrammelausst. im Bez.Mus. Hernals, Wien 1988 (Kat.); M. Egger, Die „Schrammeln“ in ihrer Zeit, (1989); W. Deutsch, in: Musik in Österr., hrsg. von G. Kraus, (1989), s. Reg., bes. S. 267f.; A. Böck – W. Deutsch, Das Werk der Brüder S. Einführung und Verzeichnis 1/1, 1993; E. Weber, in: Herz Ton Wien. Almanach, (1994), S. 10ff.; ders., Begleith. zur Compact Disc: So geht’s zua bei uns in Wean. Wr. Instrumentalmusik (1895–1935), o. J.; ders., Begleith. zur Compact Disc: Spielt’s ma an Tanz auf. Die Nachfolger der Brüder Schrammel … (1899–1914), o. J.; Smlg. Ztg.Ausschnitte, Volksliedarchiv für NÖ und Wien, Wien.
(F. Mailer – H. Reitterer)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 52, 1997), S. 171ff.
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