Schroeder Leopold von, Indologe und Schriftsteller. Geb. Dorpat, Rußland (Tartu, Estland), 12./24. 12. 1851; gest. Wien, 8. 2. 1920. Sohn des einer alten Rigaer Patrizierfamilie entstammenden Gouvernementsschulendir. Julius v. S., Gatte der Lilly v. S. (s. u.); evang. AB. S. wuchs in der Kultur des dt.-balt. Raumes auf, besuchte 1862–69 das Gymn. in Dorpat und begann 1870 das Stud. der vergleichenden Grammatik an der dortigen Univ. Ein Stud.Aufenthalt in Deutschland (1874/75 Univ. Leipzig, 1875 Univ. Jena, 1875/76 Univ. Tübingen) bestimmte S., sich der Indol. zuzuwenden. Hatte er noch im Sommer 1875 in Jena eine sprachvergleichende Stud. abgeschlossen – mit der er 1877 in Dorpat zum Mag. prom. –, so übernahm er schon einige Monate später von seinem Tübinger Lehrer Rudolf Roth eine Hs. der Mâitrâyanî Samhitâ zur Bearb., einen Text, den er als einen der ältesten Zeugen der ind. Literatur identifizierte und in einer monumentalen Edition 1881–86 hrsg. 1877 an der Univ. Dorpat für altind. Sprache und Literatur habil. (1879 Dr. der vergleichenden Sprachkde.), lebte S. 1878–81 hauptsächl. in Deutschland (1880–81 mit einem Prof.-Stipendium in Jena). Ab 1882 in Dorpat etatmäßiger Doz. für altind. Sprache und Literatur, war er nicht nur im Rahmen seiner Fachdisziplin äußerst produktiv (u. a. „Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung“, 1887), sondern publ. auch eine Reihe wichtiger vergleichendmytholog. und ethnolog. Stud. und trat auch – schon seit seiner Kindheit literar. sehr aktiv – mit eigenen Dichtungen an die Öffentlichkeit (u. a. 1890 Urauff. seines Trauerspiels „König Sundara“ in Riga); auch als Übers. und Nachdichter ind. Texte machte er sich einen Namen. 1894 mußte S. die Univ. Dorpat verlassen, da er sich weigerte, seine Vorlesungen in russ. Sprache zu halten, und wurde durch Vermittlung seiner Wr. Freunde Bühler und Ferdinand Frh. v. Andrian-Werburg (beide s. d.) an der Univ. Innsbruck ao. Prof. für altind. Geschichte und Altertumskde. mit Berücksichtigung der allg. Völkerkde.; 1897 o. Prof. Nach dem überraschenden Tod Bühlers, 1898, dessen Nachfolger als o. Prof. für altind. Philol. und Altertumskde. an der Univ. Wien, im selben Jahr korr., 1900 w. Mitgl. der Akad. der Wiss., entfaltete S. eine überaus reiche und vielseitige publizist. Tätigkeit. Obwohl er für die Indol. auch in dieser Zeit noch Wichtiges leistete (u. a. die Ausg. des Kâthakam und die vieldiskutierte Monographie „Mysterium und Mimus im Rigveda“, 1908), setzte S. die Aufbauarbeit Bühlers nur ungenügend fort und verließ mehr und mehr sein Fachgebiet zugunsten seiner mythenvergleichenden und ethnolog. Interessen; sein letztes großes Werk, „Arische Religion“, 2 Bde., 1914–16, wurde von der Fachwelt reserviert aufgenommen. S.s enge Verbindung mit dem Hause Richard Wagners (als enger Freund Houston Stewart Chamberlains, sah er die Dramen Wagners „als eine … Neugeburt der wichtigsten … urarischen Mysterien“ an) kam auch im Zusammenhang mit den in sein Dekanatsjahr (1912/13) fallenden Unruhen anläßl. der Wagner-Feier an der Wr. Univ. (Mai 1913) zum Ausdruck. S. erwarb sich große Verdienste um die Wr. evang. Gmd. AB. Er war 1907–18 Obmann des evang. Schulver., ab 1912 der Wr. Stadtmission; 1918 Dr. h. c. der evang.-theolog. Fak. S. war seit 1891 mit der verwitweten Jugendschriftstellerin Lilly v. Viettinghoff, geb. v. Völkersahm (geb. Lemsal, Rußland/Limbaži, Lettland, 2./14. 7. 1844; gest. Wien, 15. 5. 1901), verehel.