Schumpeter Joseph Alois, Nationalökonom. Geb. Triesch, Mähren (Třešt’, Tschechien), 8. 2. 1883; gest. Taconic, Conn. (USA), 8. 1. 1950. Sohn eines 1887 verstorbenen Tuchfabrikanten, Stiefsohn von FML Sigmund v. Kéler. S. absolv. das Gymn. des Theresianums in Wien, 1901–06 stud. er an der Univ. Wien Jus, 1906 Dr. jur. Nach Stud.Aufenthalten in Berlin (1906) und London (1906–07) praktizierte er 1907–08 am Internationalen Gerichtshof in Kairo. 1909 an der Univ. Wien für polit. Ökonomie habil., war er ab 1909 ao. Prof an der Univ. Czernowitz, 1911 o. Prof. an der Univ. Graz; 1916/17 Dekan. Das Wintersemester 1913/14 verbrachte er als erster österr. Austauschprof. in den USA, wo ihm 1913 ein Ehrendoktorat der Columbia-Univ. verliehen wurde. In der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs engagierte sich S. polit. und agitierte insbes. gegen die Zollbündnispläne mit dem Dt. Reich, da er nach der wirtschaftl. auch die polit. Abhängigkeit und den Verlust der polit. Identität der Habsburgermonarchie befürchtete. So trat er ab 1917 engagiert für einen Separatfrieden ein und hatte engen Kontakt mit anderen Proponenten dieser Idee, wie Lammasch und Meinl (beide s. d.). Zu Beginn 1919 gehörte er der dt. Sozialisierungskomm. in Berlin an, zurück in Österr., leitete er von März bis Oktober 1919 als Staatssekretär das Staatsamt für Finanzen, geriet jedoch aufgrund der von ihm vertretenen Politik sowohl in Gegensatz zum linken Flügel der Sozialdemokratie als auch zu den Christlichsozialen. Nach vorübergehender, kurzer Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit in Graz, 1920, wurde S. 1921 Präs. der Biedermann-Bank in Wien, trat jedoch 1925, schwer verschuldet, zurück. Wenig später leistete er einem Ruf an die Univ. Bonn Folge, wo er bis 1932, unterbrochen ledigl. von einer zweimaligen Gastprofessur an der Harvard-Univ. und zwei längeren Aufenthalten in Japan, blieb. Verbittert über seine Nichtberufung an die Univ. Berlin, folgte S. einem Ruf an die Harvard-Univ., der er bis zu seinem Tod angehörte. 1937–41 war er auch Präs. der Econometric Society (1930 Gründungsmitgl.), 1948 Präs. der American Economic Association, 1949 wurde er zum ersten Präs. der in Gründung begriffenen International Economic Association gewählt. S.s wiss. Œuvre ist vielschichtig und sehr umfangreich. Sein erstes Werk, seine Habil.Schrift „Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie“, 1908, beschäftigt sich mit der Gleichgewichtstheorie, d. h. mit dem stat. Zustand einer Volkswirtschaft, und stellt eine Synthese zwischen der Lausanner und der österr. Schule der Nationalökonomie dar. S.s eigentlicher wiss. Ruhm wurde jedoch erst durch seine 1912 erschienene „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ begründet, welche die Statik von „Wesen und Hauptinhalt“ um eine dynam. Theorie bereichern sollte. Die eigentl. treibenden dynam. Faktoren sieht S. in innovator. Unternehmerpersönlichkeiten (später auch als Pionierunternehmer bezeichnet) und im fiduziären Bankkredit, welcher den innovator. Unternehmern die Durchsetzung neuer Kombinationen mittels inflator. Zwangssparens ermöglicht. Da der Bankier nicht einfach Kaufkraft umlenkt, sondern im Zuge der Kreditgewährung neu schafft, legte S. hiemit auch die Grundlage einer neuen Geldtheorie. Die so durchgesetzten neuen Kombinationen führen zu temporären Unternehmergewinnen und verdrängen schließl. die alten, nicht mehr lebensfähigen Kombinationen. Da diese Entwicklung nicht gleichförmig, sondern in Wellen und mit Friktionen vor sich geht, umfaßt S.s Theorie der wirtschaftl. Entwicklung neben einer Theorie des Pionierunternehmers und einer Geldtheorie auch eine Konjunktur-, eine Krisen-, eine Investitions-, eine Gewinn-, eine Zins-, eine Inflations- und eine Beschäftigungstheorie. Die meisten dieser Bereiche haben auch später sein Interesse geprägt; so baute er etwa in seinem 1939 erschienenen zweibändigen Werk „Business Cycles“ seine Konjunkturtheorie aus. Seine Krisentheorie fand 1918 in seiner alarmierenden Arbeit „Die Krise des Steuerstaates“ Niederschlag und kulminierte 1942 in seinem wohl bekanntesten Werk, „Capitalism, Socialism and Democracy“, einer Existenzkrisentheorie des Kapitalismus, dessen Zusammenbruch S. prophezeite. Daneben widmete er sich auch dogmenhist. und biograph. Stud. Bereits 1914 hatte er seine „Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte“ (in „Grundriss der Sozialökonomie“, Abt. I) veröff. 1954 erschien postum sein monumentales Alterswerk „History of Economic Analysis“, das sich durch tiefgehende Kenntnis der Literatur auszeichnet. Seine biograph. Arbeiten wurden 1951 unter dem Titel „Ten Great Economists, from Marx to Keynes“ hrsg. Nicht unerwähnt dürfen schließl. S.s soziolog. Arbeiten bleiben, etwa „Zur Soziologie der Imperialismen“, 1919, in der er u. a. die Auffassung vertritt, daß Kapitalismus und Militarismus einander widersprächen, weil die kommerziellen Interessen des ersteren durch Kriege beeinträchtigt würden. Die S.sche Ökonomie steht in einem unübersehbaren Widerspruch zum Keynesianismus. Während dieser das wirtschaftspolit. Heil in der Entfaltung einer kompensator. staatl. Nachfrage sieht, kann S. als Angebotsökonom angesehen werden, der den Marktkräften vertraut, die er allerdings nicht stat., sondern als eine von Pionierunternehmern getriebene Angebotsdynamik konzipierte. Nach dem Versagen der keynesian. Wirtschaftspolitik seit Mitte der 70er Jahre ist es zu einer Neubelebung des Interesses an der Ökonomie S.s gekommen, aufgrund deren das letzte Viertel des 20. Jh. sogar als „the Age of Schumpeter“ (American Economic Review, 1984) bezeichnet wurde.