Schuppanzigh, Ignaz (1776-1830), Geiger und Dirigent

Schuppanzigh Ignaz, Geiger und Dirigent. Geb. Wien, 20. 11. 1776; gest. ebenda, 2. 3. 1830. Sechstes Kind des in Italien geb., als Italienischlehrer an der k. k. Realakad. in Wien wirkenden Franz Josef S. (um 1734–1800) und der Chirurgentochter Maria Anna, geb. Mentsch (um 1741–1813), lernte S. zunächst Bratsche, seit ca. 1793 Geige bei Anton Wranitzky (dem Bruder des Komponisten Paul Wranitzky). Ca. 1794–99 spielte S. als Primarius eines Streichquartetts wöchentl. bei Fürst Karl Lichnowsky, wo auch Haydn verkehrte und S. bei den jeweils anschließenden Tischges. Beethoven (s. d.) kennenlernte. 1794 nahm dieser entweder bei S. Geigenunterricht oder bei dessen Vater Stunden in verschiedenen Wissensgebieten. Wahrscheinl. seit 1795 (gesichert erst ab 1799) leitete S. die schon unter Mozart beliebten, meist 12–16mal pro Saison stattfindenen Konzerte im Wr. Augarten. S. betreute sie zeitweise auch unternehmer. und führte sie bis 1806 zu neuer Blüte. Auch die von S. geleiteten, seit 1805 nachweisbaren Morgenkonzerte jeweils am 1. Mai im Augarten (1816 in Berlin) erfreuten sich großer Popularität und wurden bis 1848 weitergeführt. 1804–08 veranstaltete er mit eigenem Quartett (S.-Quartett I, mit Mayseder, s. d., Anton Schreiber und Anton Kraft, s. d.) als erster öff. Quartettsoireen in Wien – es waren dies auch die ersten Kammermusikkonzerte der Welt. 1808–1816 war S., der sich 1807 mit der Goldarbeiterstochter Barbara Killitzky (einer Schwester der Sängerin Josefine Schulz, s. d.) vermählt hatte, mit einem Quartett bei Fürst A. Razumovsky (s. d.) – erstmalig in Österr. – „mit lebenslänglichen Contracten“ angestellt und bezog daher auch – nach der Zerstörung des fürstl. Palais durch Feuer (1814) und der daraufhin erfolgten Entlassung – eine lebenslange Pension. 1816–23 unternahm S. Reisen durch Dtld., Polen (1817 in Lemberg) und Rußland (um 1820 in St. Petersburg), die jedoch sehr lückenhaft dokumentiert sind. Im April 1823 kehrte er nach Wien zurück und veranstaltete 1823–29 wieder öff. Quartett-Zyklen (S.-Quartett II, mit Karl Holz, Franz Weiß und Josef Linke), bei Quintetten unterstützt vom Bratschisten Piringer (s. d.). Das Repertoire bestand vorwiegend aus Werken von Haydn, Mozart und Beethoven, dessen Streichquartett-Schaffen mit der Rückkehr S.s einen starken Impuls erfuhr. Auch im Augarten trat S. wieder auf. Sein letztes Konzert dort im Mai 1829 beendete ein Kapitel der Wr. Musikgeschichte, das 35 Jahre lang von S. geprägt worden war. 1824 wurde S. zum exspektierenden, 1827 zum w. Mitgl. der k. k. Hofmusikkapelle ernannt. Seit Herbst 1828 hatte er auch die Funktion des Orchesterdir. am Wr. Kärntnertortheater inne. In Wien war S. 1823–30 auch als Violinlehrer tätig. Zu seinen Schülern zählten u. a. Mayseder, Franz Xav. Pecháček (s. d.), Karl Holz und Josef Strauß. Bes. als (Erst-)Interpreten von Beethovenschen Streichquartetten wurden S. und seine jeweiligen Quartette berühmt. Sie widmeten sich daneben vorbildl. auch dem kammermusikal. Schaffen Haydns und Mozarts. Schuberts (s. d.) Quartett in a-Moll (D 804) brachte der Widmungsträger S. (wie andere von dessen Werken) zur Urauff. (1824) und wirkte bei der letzten Schubertiade 1828 mit. S., der auch bei den großen Akad. Beethovens als Konzertmeister fungierte, hatte als Solist wegen seiner nicht sehr stark ausgeprägten Virtuosität nicht jene entscheidende Bedeutung, die ihm im Ensemblespiel, als Begründer der Wr. Streichquartett-Tradition, v. a. aber als Inspirator und Propagator des kammermusikal. Schaffens Beethovens zukommt, der ihn bes. wegen dessen Korpulenz wiederholt zum Gegenstand seines – auch musikal. – Spottes machte.

W. (alle gedruckt): 9 Variationen für 2 Violinen über ein Thema aus dem Ballett „Alcina“, 1798; 5 Variationen über ein russ. Thema für Violine mit Streichquartett, 1815; Violinsolo mit Klavierbegleitung, 1826; usw.
L.: ADB; Grove, 1980; MGG; Riemann, 12. Aufl.; Wurzbach; W. J. v. Wasielewski, Die Violine und ihre Meister, bearb. und ergänzt von W. v. Wasielewski, 1927, S. 294ff.; A. W. Thayer – H. Deiters – H. Riemann, L. van Beethovens Leben 1–5, 1970–72, s. Reg.; L. van Beethovens Konversationshe., hrsg. von K.-H. Köhler, G. Herre u. a., 1–10, 1972–93; H. C. R. Landon, Beethoven, 1974, s. Reg.; H. Ullrich, in: Wr. Geschichtsbll. 32, 1977, S. 231ff.; E. Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, Nachdruck 1979, S. 71, 203ff., 229; C. Hellsberg, I. S. (Wien 1776–1830). Leben und Wirken, phil. Diss. Wien, 1979 (mit Quellen- und Literaturverzeichnis und Ikonographie); L. van Beethoven. Briefwechsel. Gesamtausg., hrsg. von S. Brandenburg, 1–6, (1996), Reg.Bd., (1998); Mitt. Hedy Svoboda Wien.
(U. Harten)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 373f.
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