Schwarz, Oswald (1883-1949), Mediziner

Schwarz — Oswald, Mediziner. Geb. Brünn, Mähren (Brno, Tschechien), 31. 10. 1883; gest. London (Großbritannien), 14. 10. 1949. Sohn eines Rechtsanwalts; mos. Nach der Matura in Brünn, 1901, stud. S. an der Univ. Wien und ein Semester an der Univ. Straßburg Med., 1906 Dr. med. der Univ. Wien. Er spezialisierte sich vorerst für Chirurgie und war 1908–09 Operationszögling an der Ersten chirurg. Univ.Klinik unter Eiselsberg (s. d.), danach Externarzt der geburtshilfl. Klinik unter Schauta (s. d.), ab 1912 – nach Stud.Aufenthalten in Dtld. – in der Urolog. Abt. der Wr. Allg. Poliklinik, 1913–28 Ass. S., der ab 1908 Ass.-Arzt der Res. war, wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs zunächst an der russ. Front eingesetzt, kam aber dann aus Krankheitsgründen in militär. Verwendung nach Wien.Später wurde er auf dem italien. Kriegsschauplatz für seine militärärztl. Leistungen im Verlauf mehrerer Isonzoschlachten 1916–18 mehrfach dekoriert. 1919 habil. er sich mit 35 Arbeiten aus den Gebieten Chemie, Serol., experimentelle Pharmakol., Chirurgie und Urol. als Priv.Doz. für Urol.an der Univ. Wien, bald darauf übernahm er auch Vorlesungen an der Post Graduate School of the American Medical Association in Wien. S., der als Urologe auch Patienten mit sexuellen Störungen behandelte, wandte sich zunehmend der Individualpsychol. zu und stud. bei den Freudschülern A. Adler und Schilder (beide s. d.). Bald selbst einer der führenden Vertreter der Individualpsychol., engagierte er sich bis zu seinem Austritt 1927 – 1926–27 als stellv. Vorsitzender – in der Wr. Abt. des Internationalen Ver. für Individualpsychol. 1934 ging S. nach England, von wo er aufgrund der polit. Konstellation in Österr. nicht zurückkehrte. Er lebte in London als Psychologe; sein hier 1949 veröff. letztes Werk, „The Psychology of Sex“, erlebte nach seinem Tod noch mehrere Aufl. Die wiss. Leistung von S. liegt v. a. im Brückenschlag zwischen Med. und philosoph. Anthropol., wodurch er neben Felix Deutsch im damaligen Wien zu einem Pionier des psychosomat. Denkens wurde. Den bes. Arbeitsschwerpunkt legte er jedoch auf die Sexualpathol., die er anthropolog. zu verstehen und philosoph.-theolog. zu deuten versuchte. Durch die starke Anbindung an den Zeitgeist ist sein Werk zwar heute in Vergessenheit geraten, erfuhr jedoch in veränderter Form eine Weiterführung durch seine Schüler Viktor Frankl und Hans Giese. Frankl bezeichnete S. und Richard Allers als seine einzigen Lehrer in der Psychotherapie. Durch Giese wurde S.’ Vermächtnis der Sexualpathol., insbes. sein existenzphilosoph. Verständnis der Perversionen, weitergeführt und modernisiert.

W.: Über die Beziehung des Grundumsatzes zur endokrinen Hodenfunktion, in: Wr. Archiv für innere Med. 15, H. 1, 1928 (gem. mit W. Loewenstein); Med. Anthropol. Eine wiss.theoret. Grundlegung der Med., 1929; Über Homosexualität. Ein Beitr. zu einer med. Anthropol., 1931; Zur Psychol. des Weiterlebens und der Fremdheit, in: Z. für die gesamte Neurol. und Psychiatrie 139, 1932 und 143, 1933; Sexualität und Persönlichkeit ..., (1934); Sexualpathol., 1935; Über das Wesen der Perversionen, in: Die sexuelle Perversion, hrsg. von H. Giese, 1967; usw. – Hrsg.: Psychogenese und Psychotherapie körperl. Symptome, 1925 (u. a. mit eigenem Beitr.); Jahresber.über die gesamte Urol. 7–10, 1929–32 (gem. mit A. v. Lichtenberg).
L.: Fischer; Wer ist wer, hrsg. von P. Emődi, 1937; Vorwort zu: O. Schwarz, The Psychology of Sex (= Pelican Books A 194), Nachdruck 1967; B. Handlbauer, Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychol. A. Adlers (= Veröff. des Ludwig Boltzmann Inst. für Geschichte der Ges.Wiss. 12), 1984; Vertriebene Vernunft (= ebenda, Sonderbd. 2), hrsg. von F. Stadler, 1, 1987, s. Reg.; S. R.Dunde, in: Homosexualität. Hdb. der Theorie und Forschungsgeschichte, 1993, S. 209ff.; A. Längle, V. Frankl, 1998, s. Reg.; KA, UA, Materialiensmlg. des Inst. für Geschichte der Med., alle Wien; Mitt. Charmian Brinson, London, Großbritannien, Wolfgang Berner und Gunter Schmidt, beide Hamburg, sowie Volkmar Sigusch, Frankfurt am Main, alle Dtld.
(A. Längle – E. Lebensaft – Ch. Mentschl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 55, 2001), S. 1f.
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