Seidl, Johann Gabriel; Ps. Meta Communis (1804-1875), Schriftsteller, Lehrer und Beamter

Seidl Johann Gabriel, Ps. Meta Communis etc., Schriftsteller, Lehrer und Beamter. Geb. Wien, 21. 6. 1804; gest. ebd., 18. 7. 1875. Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten, Schwager des Violoncellisten Karl Schlesinger (s. d.). S. besuchte 1813–19 das Akadem. Gymn. in Wien, wo sein poet. Talent durch P. Anton Rößler gefördert wurde. Erste lyr. Publ. fanden sich in der Smlg. „Die Cicade“ (1820) sowie in dt. und österr. Z. Nach Absolv. der phil. Jgg. an der Univ. Wien (1819–22), wo er zahlreiche literar. Freundschaften schloß, hörte S. dort ab 1822 Jus, gleichzeitig publ. er in Hormayers (s. Hormayr zu Hortenburg) „Archiv ...“ und A. Bäuerles (s. d.) „Theaterzeitung“ und war – nach dem Tod des Vaters, 1823 – als Hauslehrer tätig. S., Mitgl. der „Ludlamshöhle“, eines polizeil. beobachteten und 1826 aufgelösten Geselligkeitsver., dem u. a. Grillparzer (s. d.) und Grün (s. Auersperg Anton A. Gf.) angehörten, versuchte sich im Drama, teils auch in Kooperation mit anderen Autoren (bes. Halirsch, s. d.), in Novellen, topograph. Schilderungen („Wien’s Umgebungen“, 1826), am erfolgreichsten wohl in der Lyrik („Schillers Manen“ „Lieder der Nacht“, beides 1826), wie die zahlreichen Vertonungen u. a. durch Adolf Müller (s. d.), Schubert oder Schumann belegen. Eine erste Smlg. („Dichtungen“) erschien in 3 Tle. 1826–28. S. red. eine Calderon-Ausg. (1826), übers. oder bearb. Werke von Alphonse de Lamartine und anderer antiker und neuerer Autoren. Ab 1828 gab er die 1824 gegründete „Aurora“ heraus und versorgte diesen wohl beliebtesten biedermeierl. Almanach, in dem die bekanntesten Literaten der Zeit zu Wort kamen (so besorgte S. u. a. die Erstpubl. Lenaus/ s. Niembsch v. Strehlenau), auch mit zahlreichen eigenen Beitrr. Daneben ed. er 1828–48 das Taschenbuch „Der Freund des schönen Geschlechts“, arbeitete auch an anderen Taschenbüchern mit und entfaltete so, auch aus Geldgründen, eine v. a. quantitativ beeindruckende Produktion typ. biedermeierl. Genera. Kennzeichnend für S.s Bildsprache ist die häufige Anwendung der Nacht/Licht-Metaphorik, die aufklärer. wie romant. Tradition vermischt. In seinem „gemütlichen“, unagressiven Patriotismus und seiner manufakturiellen Emsigkeit wird er zum Inbegriff des österr. Biedermeierdichters. 1829 ging S., der 1827 die Lehramtsprüfung für Grammatik- und Humanitätskl. abgelegt hatte, als Gymn.lehrer nach Cilli (Celje), wo er u. a. mit Grün verkehrte. Ab 1828 erschienen seine Dialektged. „Flinserln“ (2., vermehrte Aufl. 1837, 3. Aufl. 1844), 1836 die – in der Folge mehrfach aufgelegte – lyr. Smlg. „Bifolien“, in der Themen zweifach, oft erzähler.-balladesk und lyr., abgehandelt werden. Mit einer Reihe von Novellensmlgg. (etwa „Georginen“ und „Brosamlin“, beide 1836, „Bilder ohne Rahmen“, 1841) bedient S. auch diese Sparte der in der Epoche so beliebten Unterhaltungsliteratur, doch ohne herausragende Ergebnisse. Daneben wandte er sich in Cilli aber auch bereits der Archäol. zu. 1840 wurde er Kustos am k. k. Münz- und Antikenkabinett in Wien, wirkte hier von 1840 bis zur Aufhebung der Zensur auch als Zensor und führte bei versiegenden poet. Kräften die „Aurora“ noch bis 1857/58 im alten, biedermeierl. Geist weiter. Zunehmend widmete er sich – nach einem Jahr als Lehrer am Josefstädter Gymn. 1848/49 – auch der Didaktik (er war Mitbegründer und Red. der „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“, ab 1850) sowie seiner wiss. Tätigkeit und veröff. für die österr. Provinzialarchäol. richtungweisende Arbeiten. 1853 verf. er einen neuen Text der Volkshymne. Ab 1856 unterstand ihm als Schatzmeister die k. Schatzkammer. 1848 wurde S. k. M., 1851 w. M. der Akad. der Wiss. in Wien, 1867 Reg.Rat, 1874 HR. 1871 trat er i. d. R. S.s Bedeutung im Literaturkanon ging – trotz der editor. und literarhist. Bemühungen um die Jh.wende – stetig zurück; als Repräsentant der „Durchschnittlichkeit“ biedermeierl. Produktion und als Textdichter für Schubert (16 Lieder, u. a. „Der Wanderer an den Mond“, „Nachthelle“, „Nachtgesang im Walde“, „Die Taubenpost“) bleibt er im Gedächtnis der Nachwelt.

W. (vgl. auch Almanach Wien 2, 1852, S. 145ff.; Goedeke): Das Gott erhalte, 1854; Gesammelte Schriften, ed. H. Max, 6 Bde., 1877–81; Ausgewählte Werke, ed. W. v. Wurzbach, 4 Bde., (1905) (mit Bild, Biographie, W. und L.); Der Leiermann, ed. A. Großschopf (= Das österr. Wort 45), 1959; Wanderungen durch Tyrol und Steyermark, 2 Bde., o. J.; Ausgewählte Werke (= Dt.-Österr. Klassiker-Bibl. 5), ed. O. Rommel, o. J.; zahlreiche Beitrr. in Z. (vgl. Estermann, s. Reg.); etc.
L. (auch s. u. bei Goedeke): ADB; Almanach Wien 26, 1876, S. 136ff.; Goedeke, s. Reg.bd. (mit W. und L.);Hall–Renner; Killy; Nagl–Zeidler–Castle 2–4, s. Reg.; Wurzbach; Schubert. Die Dokumente seines Lebens, ed. O. E. Deutsch (= F. Schubert. Neue Ausg. sämtl. Werke, Ser. 8/5), 1964, s. Reg.; J. Marx, in: Jb. des Ver. für Geschichte der Stadt Wien 15/16, 1961, S. 254ff.; J. Watzek, J. G. S.s Flinserln, phil. Diss. Wien, 1966; S. Knauder, J. G. S. Sein Leben und sein wiss. Werk, phil. Diss. Wien, 1969 (mit L.); F. Grasberger, Die Hymnen Österr., 1968, s. Reg.; F. Sengle, Biedermeierzeit 2–3, 1972–80, s. Reg.; O. E. Deutsch, F. Schubert. Themat. Verzeichnis seiner Werke in chronolog. Folge (= F. Schubert. Neue Ausg. sämtl. Werke, Ser. 8/4), 1978, s. Reg.; M. A. Niegl, Die archäolog. Erforschung der Römerzeit in Österr. (= Denkschriften Wien, phil.-hist. Kl. 141), 1980, s. Reg.; S. Lechner, in: Die österr. Literatur. Ihr Profil im 19. Jh., ed. H. Zeman, 1982, S. 231ff.; Lenau-Chronik 1802–51, bearb. N. O. Eke – K. J. Skrodzki, 1992, s. Reg.; F. Schubert. Die Texte seiner einstimmig und mehrstimmig komponierten Lieder und ihre Dichter, ed. M. und L. Schochow, 2, 2. Aufl. 1997, S. 653ff.; UA, Wien.
(H. Lengauer)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 124f.
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