Semper, Gottfried (1803-1879), Architekt

Semper Gottfried, Architekt. Geb. Hamburg, Reichsstadt (Dtld.), 29. 11. 1803; gest. Rom (Roma, Italien), 15. 5. 1879; evang. Sohn eines Wollfabrikanten, Vater von Hans (s. d.) sowie des Architekten (Carl) Manfred (1838–1913) und des Bildhauers (Gottfried) Emanuel S. (1848–1911), Schwiegervater Th. v. Sickels (s. d.). S. stud. 1823 in Göttingen Mathematik, ging 1825 wahrscheinl. zu Stud. der Hydraulik zunächst nach München und im Frühsommer 1826 nach Regensburg. Ende 1826 reiste er nach Paris und trat dort in die Architekturschule von Franz Christian Gau ein. Von März bis November 1828 arbeitete S. als Volontär bei den Hafenbauten in Bremerhaven, begab sich im August 1829 wiederum in Gaus Atelier nach Paris, um sich endgültig der Architektur zuzuwenden. Nach einer mehrjährigen Stud.reise Ende 1833 in seine Heimatstadt zurückgekehrt, erregte er mit den „Vorläufigen Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“, 1834, Aufsehen. Auf Empfehlung Gaus wurde er 1834 Prof. für Baukunst und Vorstand der Bauschule an der Dresdner Kunstakad. Die Tätigkeit in Dresden begründete seinen Ruf als herausragender Baumeister (z. B. Maternihospital, 1835–37, Synagoge, 1838–40). Auffällig ist, daß S. in einer Phase allg. stilist. Unsicherheit souverän mit dem überlieferten hist. Formengut umzugehen wußte. Mit dem ersten Dresdner Hoftheater (1838–41), dem dortigen Mus. (1847–55), der Villa Rosa (1839–40), die zum Vorbild der „Dresdner Schule“ wurde, und dem Stadtpalais für den Bankier Martin Wilhelm Oppenheim, 1845–48, schuf er beispielgebende Bauten in den Formen einer ausgereiften Neorenaissance, die sich Jahrzehnte später als dominierende Richtung durchsetzen sollte. Die Geschehnisse im Wettbewerb um den Bau der Nikolaikirche (Hamburg), bei dem ihm der erste Preis für seinen in byzantin. Formen gehaltenen Sakralbau im nachhinein zugunsten eines got. Entwurfs abgesprochen wurde, beeinflußten seine kategor.-ablehnende Haltung gegenüber der klerikalen Richtung der Neugotik nachhaltig. Seine Verteidigungsschrift „Über den Bau evangelischer Kirchen“, 1845, wurde zum programmat. Dokument seines universalhist. Standpunkts in der Stilfrage. Obwohl sich für S. in Dresden ein breites Arbeitsfeld auftat, bestärkten ihn die Auseinandersetzungen um die öff. Bauten in seiner Auffassung, daß der von ihm erstrebte Aufschwung der Baukunst veränderte polit. Zustände erforderte. Wegen der Teilnahme an den Dresdner Maikämpfen (1849) steckbriefl. verfolgt, durchlebte er Jahre ohne größere Aufträge im Pariser und Londoner Exil, wo er die an der Dresdner Akad. in Anfängen entwickelte „Vergleichende Baulehre“ ausarbeitete. Mit diesem theoret. Ansatz trat er erstmals in der Broschüre „Die vier Elemente der Baukunst“, 1851, an die Öffentlichkeit. Die Mitwirkung an der Weltausst. in London (1851) und die Reflexion der dort zutage getretenen Kunstzustände in der Schrift „Wissenschaft, Industrie und Kunst“, 1852, führten im September 1852 zu S.s Professur am neugegründeten Dep. of Practical Art im Marlborough House in London, wo sich ihm die Gelegenheit bot, die Gegenstände der „verschiedenen Zweige der industriellen Künste“ zu sammeln und die Baukunst und ihre Stilformen in den Rahmen einer allg. Kunstformenlehre und deren „Urtechniken“ zu stellen. Damit war das endgültige Programm seines theoret. Hauptwerks „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten …“ (Fragment, 2 Bde., 1860–63) gefunden. 1855 übernahm S. die Dion. der Bauschule am neugegründeten Eidgenöss. Polytechnikum in Zürich, wo er mit dessen Bau (1859–64) und Nebenbauten, v. a. aber mit dem wohl klassischsten seiner Werke, dem polychrom konzipierten (so jedoch nicht ausgeführten) Stadthaus in Winterthur (1863–69), wieder in breiterem Maße als Baumeister prakt. tätig werden konnte.1871–78 wurde in Dresden nach seinen Plänen und unter der Bauführung seines Sohnes Manfred S. das zweite Hoftheater gebaut. In Wien, wohin er 1871 übersiedelte, hatte er mit den Planungen der Ringstraßenbauten (Kaiserforum, 1869–71, Hofmus., 1871–91, Hofburgtheater, 1873–88) Gelegenheit, seiner Auffassung von der Baukunst als „monumentaler Festlichkeit“ noch einmal im großen Maßstab Gestalt zu verleihen. Hier konnte er mit Bezug auf die zu erneuernde Hofburg einen Ort der Öffentlichkeit schaffen, um den er sich vom Beginn seiner Laufbahn an bemüht hatte. Doch auch in Wien bereiteten ihm die Arbeiten zunehmend Verdruß, sodaß die wachsenden Querelen mit seinem Partner Hasenauer (s. d.) ihn die prakt. Mitarbeit schließl. Anfang 1876 aufgeben ließen. Eines sich verschlimmernden Asthmaleidens wegen hielt er sich in seinen letzten Lebensjahren überwiegend in Italien auf. S.war u. a. ab 1868 Mitgl. der Wr. Akad. der bildenden Künste und ab 1869 der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus) sowie internationaler Gremien.

W.: s. u. bei C. Zoege v. Manteuffel; W. Herrmann, 1981; M. Fröhlich, 1991.
L.: ADB; Czeike (mit Bild); DBE; Killy; Kosch (mit tw. W. und L.); Thieme–Becker; C. Lipsius, G. S. in seiner Bedeutung als Architekt, 1880; H. Semper, G. S., 1880; Schweizer. Künstler-Lex., red. C. Brun, (1913) (mit W.und L.); L. Ettlinger, G. S. und die Antike, 1937; C. Zoege v. Manteuffel, Baukunst G. S., phil. Diss. Freiburg i. Br., 1952 (mit W.); M. Fröhlich, G. S. Zeichner. Nachlass an der ETH Zürich (= Schriftenr. des Inst. ... Zürich gta 14), 1974; G. S. und die Mitte des 19. Jh. (= ebd. 18), 1976; W. Herrmann, G. S. im Exil ... (= ebd. 19), 1978; U. Planner-Steiner – K. Eggert, F. v. Schmidt, G. S., C. v. Hasenauer (= Die Wr. Ringstrasse 8/2), 1978; G. S. zum 100. Todestag, Dresden 1979 (Kat., mit Schriftenverzeichnis); W. Herrmann, G. S. Theoret. Nachlass an der ETH Zürich (= Schriftenr. des Inst. ... Zürich gta 15), 1981 (mit W.); H. Quitzsch, G. S. – Prakt. Ästhetik und polit. Kampf (= Bauwelt Fundamente 58), 1981; M. Fröhlich, G. S., 1991 (mit Bildern und W.); H. Laudel, G. S. (= Fundus-Bücher 126), 1991 (mit Schriftenverzeichnis und L.); H. F. Mallgrave, G. S. Architect of the Nineteenth Century, 1996 (mit L.); The Dictionary of Art 28, 1996; P. Betthausen u. a., Metzler Kunsthistoriker Lex., 1999; M. Gottfried, Das Wr. Kaiserforum. Utopien zwischen Hofburg und Mus.quartier ..., 2001, s. Reg.
(H. Laudel)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 169f.
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