Seyss-Inquart, Arthur (1892-1946), Politiker

Seyss-Inquart Arthur, Politiker. Geb. Stannern, Mähren (Stonařov, Tschechien), 22. 7. 1892; gest. Nürnberg (Dtld.), 16. 10. 1946 (hingerichtet). Hieß ursprüngl. Seyss; durch eine Namensübertragung seitens des Großonkels, Heinrich Ritter v. Inquart, führte die Familie ab 1906 den Doppelnamen S.-I. Sohn des Mittelschullehrers und späteren Gymn.dir. in Olmütz (Olomouc), Emil S.-I. (1843–1920), Bruder von Richard S.-I. (s. d.). S. besuchte die Gymn. in Olmütz und Baden, ehe er ab 1910 in Wien Jus stud.; 1917 Dr. jur. Ab Kriegsausbruch 1914 diente S. als Einjährig-Freiwilliger zunächst in Galizien, danach an der Südfront und erlebte das Kriegsende als Oblt. d. Res. Heimgekehrt begann er seine Laufbahn als Rechtsanwalt und war ab 1921 an einer auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzlei in Wien beteiligt, die er bald allein führte. Aus kath. Milieu stammend und seit seiner frühesten Jugend betont dt.national eingestellt, agierte er seit den 20er Jahren als Mittelsmann zwischen „Katholischnationalen“ und „Deutschnationalen“. In diesem Umfeld bekleidete er eine Vielzahl von Funktionen. So war er Vorstandsmitgl. und schließl. Obmannstellv. des Österr.-dt. Volksbundes, Mitgl. des Steir. bzw. Dt.österr. Heimatschutzes und der Dt. Gemeinschaft sowie ab 1934 Obmannstellv. des Dt. Klubs. Nach dem Verbot des Dt.österr. Heimatschutzes 1933 intensivierten sich seine Kontakte zur nunmehr illegalen NSDAP, er blieb jedoch nach wie vor innerhalb der kath. Kirche aktiv, etwa als Redner im Rahmen der Kath. Aktion und als Gesprächsvermittler zwischen Heimwehr, Christlichsozialen und Nationalsozialisten. Nach dem Juliabkommen 1936 setzte er als Gewährsmann des dt. Gesandten in Wien, Franz v. Papen, seine polit. Karriere als „Brückenbauer“ fort. Zur „Befriedung der nationalen Kreise“wurde S. im Juni 1937 zum Staatsrat ernannt und suchte im Wege der Volkspolit. Referate der Vaterländ. Front und als Exponent des Dt.sozialen Volksbundes den semilegalen Aktionsradius der illegalen NSDAP zu festigen. Nach dem Diktat von Berchtesgaden im Februar 1938, an dessen Vorbereitung er mitbeteiligt war, wurde S.Minister für Inneres und Sicherheit und nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 11. 3. 1938 dessen Nachfolger. Am folgenden Tag zum SS-Gruppenführer befördert, wurde er am 13. 3. Mitgl. der NSDAP, übernahm auch die Agenden des zurückgetretenen Bundespräs. Wilhelm Miklas und vollzog formalrechtl. den „Anschluß“, wenngleich er persönl. eher für eine Gleichschaltung Österr.eintrat. Von Mitte März 1938 bis Ende April 1939 fungierte er als Reichsstatthalter der Ostmark an der Spitze der in eine Landesregierung umgewandelten Bundesregierung, agierte jedoch in einem Spannungsverhältnis zu Reichskommissar Josef Bürckel. S. war u. a. für die erzwungenen Auswanderungen jüd. Österreicher bzw. deren Verschleppung in Konzentrationslager, die Beschlagnahme jüd. Eigentums, das Novemberpogrom sowie die Verfolgung polit. Gegner mitverantwortl. 1938 wurde S. ferner Mitgl. der Akad. für Dt. Recht, deren Präs. er ab Dezember 1943 war, sowie Führer des Dt. Alpenver., dem er seit frühester Jugend angehörte. Nach der Auflösung der Reichstatthalterschaft durch das Ostmarkgesetz im Mai 1939 mutierte er zum Reichsmin. ohne Geschäftsbereich, ehe er zunächst beim Oberkmdo. des Heeres als Verwaltungschef für das südl. Polen (September 1939) und ab Oktober als stellv. Generalgouverneur im Generalgouvernement tätig war. Ab Mai 1940 Reichskommissar der besetzten Niederlande, war S. für die Gleichschaltung und Ausbeutung der holländ. Wirtschaft, die Deportation einer halben Mio. Arbeitskräfte für die dt. Rüstungsind. und v. a. für die Judenverfolgung, der allein 100.000 jüd. Holländer zum Opfer fielen, verantwortl. 1941 wurde S. zum SS-Obergruppenführer befördert, daneben sammelte er wiederum Ver.funktionen, so war er u. a. Präs. der Konsularakad. Wien, Vizepräs. der Vereinigung zwischenstaatl. Verbände und der Dt.französ. Ges. In seinem Testament sah Hitler (s. d.) S. als Außenminister der Regierung Dönitz vor. Am 30. 4. 1945 trat S. in Kapitulationsverhh. mit den Amerikanern ein, ehe er am 4. 5. von kanad. Truppen festgenommen wurde. Gem. mit den anderen Spitzen der NS-Hierarchie wurde er im November 1945 vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg angeklagt und schließl. zum Tod durch den Strang verurteilt.

W.: Vier Jahre in den Niederlanden. Gesammelte Reden, 1944; Worum es geht. Worte an die Führer der H. J., (1944); Idee und Gestalt des Reiches, o. J.; etc.
L.: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, 1947–49, s. Reg.bd.; G. Steinbauer, Ich war Verteidiger in Nürnberg, 1950, passim; H. J. Neuman, A. S., 1970; W. Rosar, Dt. Gemeinschaft. S. und der Anschluß, 1971; Biograph. Wörterbuch zur dt. Geschichte 3, 2. Aufl. 1975, Nachdruck 1995; P. Broucek, Kath.-nationale Persönlichkeiten (= Wr. Kath. Akad. – Miscellanea 62), 1979, S. 10f.; J. Michman, in: Yad Vashem Stud. 17, 1986, S. 145ff.; G. Enderle-Burcel, Mandatare im Ständestaat 1934–38, 1991; R. Amstädter, Der Alpinismus, 1996, s. Reg., bes. S. 388f.; K. Pätzold, in: Stufen zum Galgen, ed. ders. – M. Weißbecker, 1996, S. 367ff. (mit Bild); Biograph. Lex.zum Dritten Reich, ed. H. Weiß, 1999; NS-Herrschaft in Österr., ed. E. Tálos u. a., 2000, s. Reg.; AdR, UA, beide Wien.
(D. A. Binder)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 213f.
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