Sicard von Sicardsburg, August; fälschl. Siccard von Siccardsburg (1813-1868), Architekt

Sicard von Sicardsburg (fälschl. Siccard von Siccardsburg) August, Architekt. Geb. Pest (Budapest, Ungarn), 6. 12. 1813; gest. Weidling (Klosterneuburg, NÖ), 11. 6. 1868. Sohn eines Beamten der Österr. Nationalbank. Nach Absolv. des Gymn. in Melk stud. S. 1829–33 am Wr. polytechn. Inst., 1832–35 an der Wr. Akad. der bildenden Künste und assistierte während dieser Zeit seinem Lehrer P. Nobile (s. d.) bei der Planung und Durchführung des K. Franz-Denkmals (Kulmer-Monument, 1835) bei Priesten (Přestanov). Im selben Jahr kehrte S. als Ass. für Bauwiss. an das polytechn. Inst. zurück, blieb aber vermutl. noch bis 1838 an der Akad. tätig und gewann im selben Jahr gem. mit seinem Stud.freund und lebenslangem Partner van der Nüll (s. d.) den Hof-Preis in Gold. Gem. unternahmen sie mit den damit verbundenen Stipendien eine bis 1843 währende Stud.reise durch Europa. 1843 prov., 1847 def. Prof.an der Wr. Akad. für den Lehrstuhl Architektur, den er bis 1867 betreute. Behauptungen, S. hätte in der Arbeitsgemeinschaft der beiden Künstler v. a. die techn. Belange betreut, mögen in Einzelfällen zutreffen, lassen sich aber keinesfalls verallgemeinern und hängen wohl mit der Tatsache zusammen, daß sich S. eher im Hintergrund hielt und weniger an die Öffentlichkeit trat als sein vielfach mit Ornamentfragen beschäftigter Kollege. Beide vertraten eine stilpluralist. Haltung und verfochten die Einheit der Künste. Mit dieser entschieden spätromant. Einstellung, die sie nebst ihren anderen Leistungen an die Spitze der österr. Architektenschaft führte, gerieten sie gegen Ende ihrer Laufbahn gegenüber den Verfechtern des Stildenkens in Bedrängnis, vermittelten ihren zahlreichen bedeutenden Schülern (u. a. H. v. Ferstel, s. d.) jedoch wichtige Grundlagen für die nachfolgende späthistorist. Entwicklung und nahmen letztl. sogar Erkenntnisse des 20. Jh. vorweg. Ihr wichtigstes Frühwerk bildet das Carl-Theater in Wien 2 (1847), das bereits den charakterist. französ. Einschlag verrät, den beide Architekten später im Wr. Opernhaus (ab 1861) nachdrückl. betonten. Die ungünstige Situation um und nach 1848 bewirkte, daß größere Aufgaben nur Projekt blieben, so u. a. der Wettbewerbsentwurf für ein Ständehaus für Pest (1844) und die Planung für eine neue Militärakad. in Wr. Neustadt (1852–53). Maßgebl. beteiligt waren S. und sein Partner jedoch am Ausbau des Wr. Arsenals, wo sie ab 1849 das Kommandanturgebäude und die Eckkasernen errichteten (aus dieser Zeit stammte auch der scharfe Gegensatz zu ihrem Rivalen Hansen, s. d.). 1850–52 schufen S. und van der Nüll die Reithalle der Rennweg-Kaserne in Wien; der 1853 erteilte Auftrag zum Neubau der Univ. wurde aus polit. Gründen so lange verschleppt, bis das von ihnen ausgearbeitete Konzept nicht mehr aktuell war, obwohl sie maßgebend in die Planung zur Wr. Stadterweiterung eingebunden waren. Einige Bauten in Brünn (Brno), wie z. B. das Dt. Gymn., belegen die Auseinandersetzung auch mit der italianisierenden Renaissance. S. beschäftigte sich daneben wiederholt mit dem Zinshausbau, monumentalstes Zeugnis dafür legt der Roberthof in Wien 2 (1855), ein markantes Denkmal des Blockbaus, ab. Mit dem Sieg in der Konkurrenz um das Wr. Opernhaus löste der Staat nicht nur eine gewisse Bringschuld gegenüber den beiden Künstlern ein, sondern gab diesen auch die Gelegenheit, ein Hauptwerk des europ. Theaterbaus zu realisieren, dessen Auswirkungen über die Grenzen der Monarchie hinaus zur Geltung kamen. Daneben entstanden zwei weitere, in der Erscheinung französ. beeinflußte Bauten: das Palais Larisch von Moennich (1867–68), eine stilist. Replik auf Hansens Heinrich-Hof, und 1865–67 das Warenhaus Philipp Haas (alle Wien 1), der erste Eisenständerbau Wiens innerhalb dieser Gattung. S., an einem Lungenleiden erkrankt, dem er bald nach dem Selbstmord van der Nülls erlag, fungierte 1861 als Mitbegründer und erster Präs. der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (Künstlerhaus) und war 1862–66 Abg. im Wr. Gmd.rat. S. und sein Partner vereinten in nachhaltiger Weise funktionales Denken (wofür u. a. das Projekt einer Hochgarage zeugt) und dekorative Phantasie, ohne die anderen Künste unter das Joch der Architektur zu zwingen. Direkt wie indirekt prägten sie entscheidend die Baukunst der Ringstraßenzeit und verhalfen dieser zur Weltgeltung.

W.: Sophienbad, 1846–47 (Wien); Mineralschwimmschule, 1846–48, Russ. Dampf- und Wannenbäder, 1850 (alle Baden); etc.
L.: WZ, 13. 6. 1868; NFP, 6. 12. 1913; ADB; Czeike; Thieme–Becker; Wurzbach; R. Schmidt, Das Wr. Künstlerhaus ..., 1951, S. 11, 31f., 34; W. Wagner, Die Geschichte der Akad. der bildenden Künste in Wien (= Veröff. der Akad. der bildenden Künste in Wien, NF 1), 1967, s. Reg.; R. Wagner-Rieger, Wiens Architektur im 19. Jh., 1970; dies., in: Geschichte der bildenden Kunst in Wien. Geschichte der Architektur in Wien (= Geschichte der Stadt Wien, NR 7/3), 1973, s. Reg.; H. Ch. Hoffmann u. a., Das Wr. Opernhaus (= Die Wr. Ringstrasse 8/1), 1972, s. Reg.; G. M. Hahnkamper, Der Wr. Gmd.rat zwischen 1861 und 1864, 2/3, phil. Diss. Wien, 1973, S. 548f.; N. Wibiral – R. Mikula, H. v. Ferstel (= Die Wr. Ringstrasse 8/3), 1974, s. Reg.; R. Wagner-Rieger – M. Reissberger, Th. v. Hansen (= ebd. 8/4), 1980, s. Reg.; N. Nemetschke – G. J. Kugler, Lex. der Wr. Kunst und Kultur, (1990), s. Reg.; W. Krause, in: Sonderpostmarkensatz „Bildende Kunst“, 1993; O. A. Graf, O. Wagner 4: S. und van der Nüll (= Schriften des Inst. für Kunstgeschichte, Akad. der bildenden Künste, 2/4), 1994 (mit Bild); W. Aichelburg, Das Wr. Künstlerhaus 1861–2001, 1 (= Monographien zur Kunst Österr. im 20. Jh. 1/1), (2002), s. Reg.; Archiv der Akad. der bildenden Künste und der Techn. Univ., beide Wien.
(W. Krause)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 219f.
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