Singer (Singer-Schinnerl), Susi (Susanne, Suzanne); eigentl. Selma Rosa Singer, verheiratete Schinnerl (Shinnerl) (1891–1955), Keramikerin, Kunsthandwerkerin, Zeichnerin und Malerin

Singer (Singer-Schinnerl) Susi (Susanne, Suzanne), eigentl. Selma Rosa S., verheiratete Schinnerl (Shinnerl), Keramikerin, Kunsthandwerkerin, Zeichnerin und Malerin. Geb. Wien, 27. 10. 1891; gest. Hollywood, CA (USA), 24. 1. 1955; bis 1924 mos. Tochter des Sekretärs Abraham David Singer (geb. Jassy, Fürstentum Moldau / Iași, RO, 23. 8. 1856; gest. Wien, 9. 5. 1922) und der Josefine Singer, geb. Messing (geb. Żurawlów, Russisches Reich/PL, 24. 12. 1863; gest. KZ Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren/CZ, 3. 4. 1943); ab 1924 verheiratet mit dem Bergarbeiter Josef Schinnerl (geb. 17. 3. 1892; gest. 18. 1. 1938), der an den Folgen eines Minenunglücks verstarb. – Nach Absolvierung der Bürgerschule besuchte S. 1905–12 die Kunstschule für Frauen und Mädchen. Dort studierte sie zwei Jahre bei →Tina Blau sowie bei Otto Friedrich und Adolf Böhm Porträt- und Aktzeichnen. Im Rahmen der Schule beteiligte sie sich an der Wiener Kunstschau 1908 mit dem Tempera-Panneau „Hänsel und Gretel“. Ab 1910 entwarf sie für die Wiener Werkstätte Postkarten, Stoffmuster (ab 1916), Emaildosen, Tapeten und Spitzen. Zu dieser Zeit entstanden auch Postkartenentwürfe für die Wiener Rotophot-Gesellschaft, Blüh & Co. (W. R. B. & Co). Während des 1. Weltkriegs betrieb S. für einige Zeit ein eigenes kleines Atelier in Wien, ehe sie 1917 in die Künstlerwerkstätte für Keramik der Wiener Werkstätte eintrat. Nach Aneignung der keramischen Techniken schuf sie stark expressive Figuren, Gruppen und Köpfe frei nach ihrer Phantasie, 1923 wechselte sie in die Entwurfsabteilung. In den späten 1920er-Jahren unterhielt sie auch eine Zusammenarbeit mit den Vereinigten Ateliers für Kunst und Keramik von Marcell Goldscheider. Mit Hilfe ihres Ehemanns gründete S. 1925 eine Werkstätte für Keramik in Grünbach am Schneeberg (Grünbach Keramik) und trat gleichzeitig aus der Wiener Werkstätte aus. Bei ihren Arbeiten, die sie in den Folgejahren u. a. über das Amymay Studio in die USA vertrieb, konzentrierte sie sich weiterhin auf figürliche Keramiken, die auf Skizzen aus ihrer Umgebung basierten. Nach dem Tod ihres Mannes sowie der Arisierung ihres Grundstücks in Grünbach (1938) emigrierte sie 1939 in die Vereinigten Staaten, wo sie Kontakte zu anderen Exilkünstlern wie →Vally Wieselthier oder Gertrud Natzler und Otto Natzler knüpfte. In Pasadena leitete sie anfangs diverse Workshops des Amymay Studios sowie einige Keramikseminare am Pasadena City College. Im Wintersemester 1940 unterrichtete sie zusätzlich am Scripps College in Claremont, wo sie einen Lehrauftrag für Keramikskulptur übernahm. Über den dortigen Leiter der Kunstabteilung, Millard Sheets, entstand der Kontakt zu der Mäzenin Susanna Bryant Dakin, die S. in den Anfangsjahren finanziell unterstützte und mit deren Hilfe sie 1941 ein Haus in Hollywood bezog, wo sie ein kleines Atelier einrichtete und Keramikkurse abhielt. Ihre in dieser Zeit entstandenen Arbeiten weisen eine verstärkte Zuwendung zum amerikanischen Lebensalltag auf. Als Teil einer Gruppe von Emigranten, die sich in Südkalifornien niedergelassen hatten, nutzte S. u. a. sonntägliche Treffen bei ihr zu Hause sowie karitative Veranstaltungen, um ihre Arbeiten zu verkaufen. 1945 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1946 und 1948 Arbeitsstipendien der Fine Arts Foundation des Scripps College, die es ihr ermöglichten, sich intensiver mit amerikanischer Keramik und alternativen Glasurmethoden zu beschäftigen. S., die seit ihrer Kindheit an einer verkrümmten Wirbelsäule und Knochenerweichung litt, war das letzte Jahrzehnt ihres Lebens fast vollständig auf den Rollstuhl angewiesen. Ihre Arbeiten wurden 1925 auf der Exposition internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris mit einer Silbermedaille prämiert, 1934 erhielt sie bei der Ausstellung Austria in London ein Ehrendiplom, 1935 erzielte sie bei der Weltausstellung in Brüssel den 2. sowie 1937 auf der Exposition Internationale des Arts et Techniques dans la Vie Moderne in Paris den 1. Preis. Ihre Werke finden sich u. a. im MAK – Museum für angewandte Kunst (Wien), im Scripps College (Claremont) sowie im Metropolitan Museum of Art (New York City). S. war ab den 1920er-Jahren Mitglied der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (später der Wiener Frauenkunst), ab 1926 des Österreichischen Werkbunds und 1920–25 korrespondierendes sowie ab 1926 assoziiertes Mitglied des Hagenbunds.

L.: Thieme–Becker; Vollmer; L. W. Rochowanski, in: Deutsche Kunst und Dekoration 64, 1929, S. 402ff.; H. E. Stiles, Pottery in the United States, 1941, S. 152ff.; Michigan Christian Advocate 82, 1955, S. 20; UCLA librarian 11, 1958, Nr. 18, S. 138; A. Gmeiner – G. Pirhofer, Der österreichische Werkbund, 1985, S. 242; G. Clark, American Ceramics – 1876 to the Present, 1987, S. 299; S. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938, 1994, s. Reg.; North American women artists of the twentieth century – a biographical dictionary, ed. J. Heller, 1995; H. Brenner, Jüdische Frauen in der bildenden Kunst 2, 2004; J. Koplos – B. Metcalf, Makers. A history of American studio craft, 2010, s. Reg.; Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938, ed. A. Winklbauer – S. Fellner, Wien 2016 (Kat.); Die Frauen der Wiener Werkstätte, ed. A.-K. Rossberg u. a., Wien 2020, S. 265f. (Kat.); Wien Geschichte Wiki (Zugriff 7. 4. 2021); IKG, MAK – Museum für angewandte Kunst, beide Wien.
(M. Hölters)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)