Spitzer, Sigmund (Ispiçel Bey) (1813–1894), Anatom, Pathologe und Diplomat

Spitzer Sigmund (Ispiçel Bey), Anatom, Pathologe und Diplomat. Geb. Nikolsburg, Mähren (Mikulov, Tschechien), 21. 4. 1813; gest. Wien, 23. 12. 1894; mos. Sohn eines Kaufmanns. Nach seiner Schulausbildung stud. S. an der Univ. Wien Med.; 1837 Dr. med. Anschließend ging er auf Aufforderung des osman. Geschäftsträgers der Hohen Pforte in Wien an die militär.-med. Schule in Galatasaray, wo er 1839 zum Prof. für Anatomie ernannt wurde und als einziger Zivilarzt unterrichtete. 1844–50 war er als Nachfolger K. A. Bernards (s. d.) Leiter dieser Schule. 1845 setzte S. eine Ausweitung des Stud. auf zehn Jahre mit einem zusätzl. Vorbereitungsjahr durch. Unter seiner Ägide wurden hier ab 1845 an der Schule Leichen zu Stud.zwecken seziert, auf seine Veranlassung hin wurde das Sezieren auch in anderen türk. Spitälern ohne Rücksicht auf Geschlecht und frühere Religionszugehörigkeit der Leichen durchgeführt. 1847 erwirkte S. beim Sultan die Erlaubnis, die vier besten Zöglinge in Wien prom. zu lassen, um die Qualität an der med. Schule von Galatasaray zu demonstrieren. Nachdem diese an der Univ. Wien mit ausgez. Erfolg zum Dr. med. prom. worden waren, wurde S. in Anerkennung dessen zum Dir. der med. Akad. ernannt. S. war auch außerschul. in seinem Fach engagiert: So gehörte er der 1842 geschaffenen San.komm. an, die von Bernard geleitet wurde. Nachdem er Sultan Abdülmedjid von einer schweren chron. Erkrankung heilen konnte, wurde S. 1845 dessen Leibarzt und galt alsbald als enger Vertrauter des Sultans. Auf dessen ausdrückl. Wunsch trat er in den diplomat. Dienst ein und war 1850–56 Botschaftsrat in Wien. In dieser Funktion nahm er an allen Verhandlungen bezügl. des Krimkriegs teil. 1857 reiste er zur Behandlung des erkrankten Sultans nach Konstantinopel (İstanbul), kehrte aber bald nach Europa zurück, wo er 1857–60 osman. Geschäftsträger in Neapel war. Nach dem Tod des Sultans lebte S. als Privatmann in Paris und Italien und kehrte schließl. nach Wien zurück, wo er die letzten Lebensjahre verbrachte. Wiss. nicht tätig, spielte S. eine bedeutende Rolle in der med. Entwicklung des osman. Reichs. Sein Verdienst liegt nicht nur in der Durchsetzung des Sezierens in der Türkei, sondern auch in der Errichtung eines anatom. Mus. Die Präparate für dieses Mus. stammten teils von S. selbst, teils erhielt er sie von Josef Hyrtl (s. d.). Für seine Verdienste wurde ihm 1847 der osman. Orden (İmtiyaz nişanı) verliehen.

L.: ADB; DBE; Hdb. jüd. AutorInnen; Hirsch; Jew. Enc.; Pagel; Wininger; Wurzbach; B. Stern, Med., Aberglaube und Geschlechtsleben in der Türkei …, 1903, passim; A. Terzioğlu, in: Wien und die Weltmed., ed. E. Lesky, 1974, S. 136ff.; E. Kahya, in: 150. Yılında Tanzimat, ed. D. Y. Hakkı, 1992, S. 289ff.; A. Kernbauer, in: Mitt. Österr. Ges. für Wiss.geschichte 13, 1993, 1–2, S. 175ff.; P. Steines, Hunderttausend Steine …, 1993, S. 193; IKG, UA, WStLA, alle Wien.
(K. Tomenendal)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 59, 2007), S. 42f.
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