Steiner, Rudolf Joseph Lorenz (1861–1925), Anthroposoph

Steiner Rudolf Joseph Lorenz, Anthroposoph. Geb. Kraljevec (Kroatien), 25. 2. 1861; gest. Dornach (Schweiz), 30. 3. 1925. Sohn eines Telegraphisten und Stationsvorstehers. Nach Absolv. des Gymn. in Wr. Neustadt stud. S. 1879–83 an der TH Wien Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Literatur, Geschichte und Phil.; 1891 Dr. phil. der Univ. Rostock. 1882–90 freiberufl. Hauslehrer bei einer jüd. Kaufmannsfamilie in Wien, wurde S. 1882 auf Vermittlung von K. J. Schröer (s. d.) mit der Ed. der naturwiss. Schriften Goethes in der von Joseph Kürschner hrsg. Smlg. „Deutsche National-Litteratur“ (1884ff.) beauftragt. 1888 übernahm er die Red. der „Wiener Deutschen Wochenschrift“. 1890–97 Mitarb. am Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv, ging S. danach nach Berlin und wirkte als Hrsg. und Journalist des „Magazins für Litteratur“ und der „Dramaturgischen Blätter“. S. prägte den Literaten-Kreis Die Kommenden und lehrte an Wilhelm Liebknechts sozialist. Arbeiterbildungsschule. In dieser Zeit hatte er eine Erkenntnis, die in ihrer Weiterentwicklung zur Grundlage seiner Anthroposophie wurde. Als Gen.sekr. der dt. Sektion der Theosoph. Ges. leistete S. v. a. Aufbauarbeit. Nach Differenzen gründete er 1913 die Anthroposoph. Ges. Zu seinen wiss. Publ. zählen grundlegende Werke zur Anthroposophie wie „Theosophie …“ (1904), „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ (1904/05), „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ (1910). Von phil. Gedankengut zeugt sein Hauptwerk „Die Philosophie der Freiheit“ (1893), dessen erster Tl. eine Anwendung der naturwiss. Methode auf die Phil. als Beobachtung des Denkens enthält und der zweite Tl. die Begründung eines eth. Individualismus als Freiheitsphil. und Anthropol. darstellt. Sein Modell der dreigliedrigen körperl. Organisation des Menschen und ihres funktionalen Zusammenhanges mit Seele und Geist wurde zur Grundlage kultureller und sozialer Neuerungen nach 1918, woraus die Waldorfschul-Pädagogik, die biolog.-dynam. Landwirtschaft („Demeter“), eth.-soziale Gestaltungsimpulse für das gesellschaftl. Leben und die anthroposoph. Heilpädagogik und Med. resultierten. S. entwickelte auch eine Bewegungskunst und dichtete vier „Mysteriendramen“ (1910–13), die bei den Münchner Sommerfestspielen aufgef. wurden. Den Höhepunkt fand sein künstler. Schaffen im Goetheanum-Bau in Dornach, wo Architektur, Plastik, Malerei, Sprach- und Schauspielkunst integriert wurden. Nach Zerstörung des Goetheanums durch Brandstiftung (Jahresende 1922) und einer Krise der Anthroposoph. Ges. entwarf S. einen zweiten Bau und gründete 1923/24 die Allg. Anthroposoph. Ges. mit dem ihr eingegliederten Goetheanum als Freie Hochschule für Geisteswiss. S.s Anthroposophie entwickelte eine eigene Lehre zur Erforschung des Lebens sowie der seel. und geistigen Zusammenhänge von Mensch und Welt. Heute arbeiten rund 10.000 Inst. weltweit in expliziter Anknüpfung an seine Forschungen.

W. (auch s. u. Lindenberg, 1997): R.-S.-Gesamtausg., 334 Bde., 1955ff.; Mein Lebensgang, 2000.
L.: Die Presse, 26. 2. 1961 (m. B.); WZ, 12. 7. 1981; Neues Volksbl., 9. 6. 1995 (m. B.); Bautz; Czeike; E. Leinhas, Aus der Arbeit mit R. S., 1950; A. Steffen, Begegnungen mit R. S., 1955; F. M. Zeylmans v. Emmichoven, R. S., 1961; G. Wachsmuth, R. S. Erdenleben und Wirken, 3. Aufl. 1964; J. Hemleben, R. S. in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (= Rowohlts Monographien 79), 1963; C. Lindenberg, R. S., 1992; ders., R. S. …, 1997 (m. W.); T. Gut, Der Mensch R. S., 2000; W. Kugler, Feindbild S., 2001; Anthroposophie im 20. Jh. Ein Kulturimpuls in biograph. Porträts, ed. B. Plato, 2003; Der andere R. S., ed. W. Vögele, 2004; R. S. Archiv, Goetheaneum, beide Dornach, Schweiz; WStLA, Materialiensmlg. ÖBL, beide Wien.
(R. Schmidt)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 176f.
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