Sternberg, Adalbert Wenzel (Vojtěch Václav) Gf. von; Ps. Flavio Gioja (1868–1930), Politiker und Publizist

Sternberg Adalbert Wenzel (Vojtěch Václav) Gf. von, Ps. Flavio Gioja, Politiker und Publizist. Geb. Pohrlitz, Mähren (Pohořelice, Tschechien), 14. 1. 1868; gest. Wien, 25. 4. 1930; röm. kath. Sohn von Leopold Gf. v. S. (s. d.). Nach dem Besuch der Gymn. in Ung. Brod (Uherský Brod), Mies (Stříbro) und Böhm. Leipa (Česká Lípa) diente S. ab 1886 als Einjährig-Freiwilliger beim Dragonerrgt. 8. 1888 Lt. der Res., verlor er diesen Rang 1893 – sowie, nach seiner Rehabilitierung 1898, ein zweites Mal 1903 – aufgrund von Duellen und Spielschulden. Neben einem kurzzeitigen Stud. an der Univ. Straßburg (Nationalökonomie) und längeren Aufenthalten in Berlin, Paris und London unternahm er ab 1890 zahlreiche Reisen durch West- und Südeuropa, Kleinasien, Afrika, Nordamerika, Afghanistan und Indien sowie nach Spitzbergen. 1899/1900 berichtete er aus der Perspektive der Buren über den südafrikan. Krieg und geriet in engl. Gefangenschaft. S. verwaltete ab 1902 das Vermögen mehrerer verwandter Familien und war 1902–16 Präs. des Verwaltungsrats der Ostrauer Bergbau-Ges. Ab 1900 war er journalist. aktiv und publ. auch in tschech. Sprache. 1901–11 kandidierte er mehrfach bei böhm. und mähr. LT-Wahlen, jedoch ohne Erfolg, obwohl er nach amerikan. Vorbild als einer der ersten mit einem Automobil Wahlreisen unternahm. 1904 und 1907 wurde S. als christl.-tschech. Agrarier in den RR gewählt und gehörte als fraktionsloser Parlamentarier zu den schärfsten und witzigsten Rednern. Als „jungkonservativer Adliger“ griff er in Reden und Schriften sowohl den Wr. Hof und die Armeeleitung als auch dt. und tschech. Liberale, Nationalisten und Sozialdemokraten an. Nach Kriegsbeginn 1914 diente S. als Ordonnanzoff. und nach einer Pilotenausbildung ab 1917 als Beobachter bei der 9. Fliegerkomp. an der galiz. Front. S. wurde mehrfach ausgez., 1917 als Rtm. in die Res. versetzt und zum Kämmerer ernannt. Nach 1918 gab S., der auch Präs. des Wr. Züchter- und Rennstallbesitzerver. war, die Z. „Tagesfragen“ und „Sternberg’s Halbmonatsschrift“ heraus. Als tschechoslowak. Staatsbürger wurde S. 1923 wegen Tätlichkeiten und anderen Ehrenhändeln aus Österr. ausgewiesen, konnte jedoch – ebenso wie nach einer weiteren Ausweisung – wieder zurückkehren. 1930 starb S. in Wien an einer Alkoholvergiftung. Der unstete, hochtalentierte Privatier und Lebemann fühlte sich zeit seines Lebens einem altadligen Selbstverständnis, dem Militär und zugleich der Moderne stark verbunden.

W.: s. u. Luft; Rochelt.
L.: Bohemia, NFP, NWT 26., WZ, RP, 27., NWT, 29. 4. 1930 (B.); Freund, 1907 (m. B.); Otto, Erg.Bd.; I. Steuer, A. Gf. S. ..., phil. Diss. Wien, 1970; A. Gf. S., … Aus den Memoiren eines konservativen Rebellen, ed. H. Rochelt, 1997 (m. B., W. u. L.); R. Luft, Parlamentar. Führungsgruppen und polit. Strukturen in der tschech. Ges. 1907–14, 2, phil. Diss. Mainz, 2001.
(R. Luft)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 233f.
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