Stiassny (Stiaßny) Wilhelm, Architekt. Geb. Preßburg, Ungarn (Bratislava, Slowakei) oder Wien, 15. 10. 1842; gest. Bad Ischl (OÖ), 11. 7. 1910; mos. Sohn eines Kaufmanns. Nach Besuch der Oberrealschule stud. S. 1857–61 am Wr. polytechn. Inst., 1861–66 u. a. bei Sicard v. Sicardsburg und van der Nüll (beide s. d.) an der ABK, wo er Mitbegründer des Ver. Wr. Bauhütte wurde, den er zeitweise auch leitete; ab 1866 selbständig tätig. 1878–1900 und 1904–10 gehörte er als Liberaler dem Wr. Gmd.rat an, 1894–95 Stadtrat, 1878–96 auch Mitgl. der Donauregulierungs-Komm. Als Referent für Bauwesen beschäftigte sich S. wiederholt mit städtebaul. Angelegenheiten – bereits 1872–75 hatte er einen Straßenzug in Oberdöbling (Wien 19) entworfen – und propagierte in der Diskussion um den Wr. Wohnbau engl. sowie belg. Vorbilder. S., der zu den aktivsten und fruchtbarsten Baukünstlern Wiens zählte, genoß auch über die österr. Grenzen hinaus hohes Ansehen und wurde namentl. von jüd. Auftraggebern (u. a. Rothschild und Königswarter) wiederholt beschäftigt. S.s enge Kontakte zur zionist. Bewegung mündeten 1909 in einen Bebauungsplan für Achusat Bajit (Tel Aviv), der aber nicht ausgeführt wurde. In seinem Œuvre überwiegen die Wohn- und Geschäftsbauten, wobei bes. das Haus Liebig-Schwab in Wien 1 (1872) hervorzuheben ist, das v. a. wegen seiner inneren Prunkgestaltung einen bemerkenswerten Übergang vom Strengen zum Späthistorismus markiert. Bei dem in französ. Manier erbauten Schloß Šebetov (1878) und in der Dekorationsfreudigkeit ist der Einfluß von Sicard v. Sicardsburg und van der Nüll zu spüren, ohne daß sich S. jedoch enger an sie anlehnte. Bei eher konservativer Grundhaltung wußte er sich sehr wohl an die Auftraggeber wie an moderne Strömungen anzupassen. Einen weiteren Schwerpunkt im Schaffen S.s bildeten die Synagogen: Als bewußten Hinweis auf die jüd. Tradition und als Signal gegen den Antisemitismus bevorzugte er dabei im Gegensatz zu neueren Tendenzen maur.-oriental. Formen, was bei den liberal Gesinnten, die seinen Konkurrenten M. Fleischer (s. d.) präferierten, mitunter scharfe Kritik auslöste. Wiederholt wurde S. für Sozialbauten herangezogen, insbes. für Spitäler (z. B. Rothschild-Spital in Wien, 1870–75) und Waisenhäuser. Markante Leistungen setzte S. auch mit mehreren Grabkapellen auf dem Wr. Zentralfriedhof, bes. mit der fast protokubist. Rothschild-Gruft aus den frühen 1890er Jahren. Baurat S. fungierte im Vorstand des Nö. Gewerbever. und der IKG, war 1894 Gründer der Ges. für Smlg. und Konservierung von Kunst- und hist. Denkmälern des Judentums, 1904 Mitbegründer des Jüd. Kolonisations-Ver.; 1873 mit dem goldenen Verdienstkreuz mit der Krone ausgez., 1903 Off. des Franz Joseph-Ordens.