Stolper, Gustav (1888–1947), Ökonom, Journalist und Politiker

Stolper Gustav, Ökonom, Journalist und Politiker. Geb. Wien, 25. 7. 1888; gest. New York, N. Y. (USA), 27. 12. 1947; mos., 1917 Austritt aus der IKG. Sohn eines Bankbeamten, Schwiegersohn von M. und E. Kassowitz (beide s. d.), Vater des Nationalökonomen Wolfgang S. (1912–2002) aus der ersten Ehe mit Paula Deutsch; ab 1921 in zweiter Ehe mit der Journalistin Toni S., geb. Kassowitz (1890–1988), verheiratet. – Nach der Matura 1906 stud. S. an der Univ. Wien Jus mit Schwerpunkt Nationalökonomie; 1911 Dr. jur. Danach ergriff er die Laufbahn eines freien Journalisten, etwa bei der „Neuen Freien Presse“, v. a. aber ab 1912 als offizieller Mitarb. und ab 1915 als Mithrsg. des „Oesterreichischen Volkswirts“, zu dessen Aufstieg zum führenden Wirtschaftsjournal er maßgebl. beitrug. Während des 1. Weltkriegs propagierte S. unter dem Einfluß des dt. Politikers Friedrich Naumann dessen Mitteleuropa-Konzeption einer engen wirtschaftl. Zusammenarbeit der mitteleurop. Länder unter dt. Führung. Nach 1918 argumentierte er mit der wirtschaftl. Lebensunfähigkeit Österr. für den Anschluß an das Dt. Reich. S. unterhielt Kontakte zu der von Naumann 1918 gegr. Dt. Demokrat. Partei (DDP), aus denen eine lebenslange Freundschaft mit dem nachmaligen dt. Bundespräs. Theodor Heuss entstand. Die von ihm gegr. Bürgerl.-Demokrat. Partei blieb 1919 in Österr. erfolglos. 1925 übersiedelte S. nach Berlin, zunächst als 2. Chefred. des „Berliner Börsen-Courier“. 1926 gründete er die Z. „Der Deutsche Volkswirt“, die rasch an Ansehen und Einfluß gewann. Ab 1925/26 Vorstandsmitgl. der DDP und deren Nachfolgerin, der Dt. Staatspartei, war S. 1930–32 auch Abg. zum Dt. Reichstag. Das Wirtschaftsprogramm der DDP eines sozial orientierten Liberalismus geht auf S.s Ideen zurück. Im 1929 publ. „Finanzplan“ befürwortete er eine Strukturreform des Steuersystems zur Sanierung des Budgets und zur Bekämpfung der Kapitalknappheit als Hauptursache der Wirtschaftskrise. In den 30er Jahren verteidigte er die Ideale einer liberalen Demokratie gegen Diktatur, Inflationismus und Autarkie. Krit. Unterstützung der Politik von Reichskanzler Heinrich Brüning, Ablehnung proto-keynesian. Pläne in der Krisenpolitik und scharfer Widerstand gegen den Nationalsozialismus kennzeichnen seine Ideen. 1933 mußte S. den „Deutschen Volkswirt“ verkaufen und in die USA emigrieren, wo er in New York – ab 1939 US-Staatsbürger – als Wirtschaftsexperte und Publizist tätig war. Er engagierte sich in der dt. Emigration und versuchte, der amerikan. Öffentlichkeit ein ausgewogenes Dtld.bild zu vermitteln. Seine letzten Lebensjahre widmete S. der Frage der Gestaltung Nachkriegseuropas, u. a. 1947 als Mitgl. der nach Dtld. entsandten Hoover-Mission.

Weitere W.: Das mitteleurop. Wirtschaftsproblem, 1917, Neuaufl. 1918; Dt.österr. als Sozial- und Wirtschaftsproblem, 1921; Die wirtschaftl.-soziale Weltanschauung der Demokratie, 1929; German Economy, 1870–1940, 1940 (dt. 1950); German Realities. A Guide to the Future Peace of Europe, 1948 (dt. 1949); Beitrr. in: Der Oesterr. Volkswirt, 1910–26, Der Dt. Volkswirt, 1926–33; etc.
L.: Wirtschaftswoche, 3. 10. 1986; Hdb. der Emigration (auch zu Toni S.); T. Stolper, Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit … G. S. 1888–1947, 1960 (m. B.); B. Sattler, „Der Deutsche Volkswirt“ 1926–33, phil. Diss. Kiel, 1982 (m. L.); H. Rieter, in: Stud. zur Entwicklung der ökonom. Theorie 17, ed. E. W. Streissler, 1998, S. 95ff.; Biograph. Hdb. der dt.sprachigen wirtschaftswiss. Emigration nach 1933, ed. H. Hagemann – C. D. Krohn, 1999 (m. W. u. L., auch zu Wolfgang S.); H. Klausinger, in: History of Political Economy 33, 2001, S. 241ff.; IKG, Wien.
(H. Klausinger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 61, 2009), S. 315
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