Strauß (Strauss), Johann (Sohn) (1825–1899), Komponist und Kapellmeister

Strauß (Strauss) Johann (Sohn), Komponist und Kapellmeister. Geb. St. Ulrich, NÖ (Wien), 25. 10. 1825; gest. Wien, 3. 6. 1899; röm.-kath., dann evang. AB. Sohn von Johann (Vater), Bruder von Eduard und Josef, Onkel von Johann S. (Enkel), verehel. ab 1862 mit Henriette (Jetty) S. (alle s. d.), 1878–82 mit der Sängerin Angelika (Lili) Dittrich (1850–1919) und ab 1887 mit der Bankierswitwe Adele Strauß, geb. Deutsch (1856–1930), nachdem beide zum Protestantismus konvertiert und Staatsbürger von Sachsen, Coburg und Gotha geworden waren. – Erste musikal. Unterweisungen erhielt S. bei V. Plachý (s. d.) auf dem Klavier und Harmonium; in diese Zeit fallen auch erste Kompositionsversuche. 1837–41 besuchte er das Schottengymn. und sang im Chor von St. Leopold. 1841 inskribierte er an der kommerziellen Abt. des polytechn. Inst. Nach dem Tod J. Lanners (s. d.) 1843 versuchte S., in dessen Fußstapfen als Musikdir. zu treten, brach sein Stud. ab und lernte – zunächst heiml. – Violine beim Konzertmeister des Vaters, Franz Amon, später bei Anton Kohlmann, einem Geiger des Hofopernorchesters, sowie Generalbaß bei J. Drechsler (s. d.). 1844 debüt. er gegen den Willen seines Vaters in Dommayers Casino mit einem eigenen Orchester. Als Nachfolger Lanners wurde er Kapellmeister beim 2. Wr. Bürgerrgt., fand aber nicht das breite Publikum seines Vaters, sodaß er 1847/48 im Zuge einer Balkanreise Verdienst suchte. Wieder in Wien, stellte er sich auf die Seite der Revolutionäre und spielte auch nach der Restauration „freiheitliche“ Musikstücke, was zur Ächtung durch den K.hof führte. Nach dem Tod seines Vaters 1849 vereinigte S. die beiden Kapellen und sicherte sich – mit Ausnahme der Hofdienste – die ihm bislang verwehrt gebliebenen Auftrittsorte. 1850 spielte S. beim K.treffen in Warschau erstmals vor Franz Joseph I. (s. d.) und wurde ab 1852 zur Ausrichtung der Ballmusik am Wr. Hof herangezogen. Im selben Jahr hatte er mit der „Annen-Polka“ seinen ersten großen Erfolg als Komponist und absolv. seine erste Dtld.tournee. Durch Überanstrengung verursachte gesundheitl. Zusammenbrüche S.’ führten zur Integration von Josef und Eduard S. in das Familienunternehmen. 1856–65 und 1869 gastierte er jährl. in Pawlowsk (Sankt-Peterburg), wo sich ein regelrechter S.-Kult entwickelte. Ab 1863 k. k. Hofballmusik-Dir., leitete er außer den Tanzveranstaltungen bei Hof nur mehr die Konzerte im Volksgarten in Wien. Die übrigen Dienste der S.-Kapelle überließ er seinen Brüdern und trat nur noch sporad. als Dirigent eigener Kompositionen auf. 1864 leiteten die „Morgenblätter“ die Reihe der großen Walzer ein, deren Höhepunkt 1867 der sog. Donauwalzer („An der schönen, blauen Donau“) war. Im selben Jahr gastierte S. mit großem Erfolg in Paris und London, bereitete aber auf Betreiben Henriettes den Wechsel vom Musikdir. zum Operettenkomponisten vor. Ende der 1860er Jahre übergab er die Leitung der Kapelle seinen Brüdern, ließ sich 1871 von den Hofdiensten entheben und debüt. im selben Jahr mit seiner ersten Operette, „Indigo und die 40 Räuber“, im Theater an der Wien. Von wesentl. Bedeutung war dabei die Zusammenarbeit mit Genée (s. d.), der ihm i. d. F. als musikal. Mitarb. und gem. mit F. Zell als Librettist zur Seite stand. 1872 gastierte S. in den USA, 1873 dirigierte er während der Wr. Weltausst. eigene Werke, 1874 unternahm er eine Italientournee und präsentierte seine bis heute populärste Operette „Die Fledermaus“. 1875 und 1877 trat S. wieder in Paris auf. Seine 1883 bei der Berliner Urauff. durchgefallene Operette „Eine Nacht in Venedig“ fand in Österr. nicht zuletzt dank der Mitwirkung Girardis (s. d.) positive Aufnahme. „Der Zigeunerbaron“ (1885) wurde S.’ größter Erfolg zu Lebzeiten. 1886 unternahm S., gem. mit Adele, eine Rußlandtournee. 1889 erreichte er mit seinem „Kaiser-Walzer“ noch einmal einen Höhepunkt als Tanzmusikkomponist. Die schon im „Zigeunerbaron“ angedeutete Vorliebe für ausgedehnte durchkomponierte Szenenfolgen gipfelte in der kom. Oper „Ritter Pásmán“ (1892). Da jedoch der Erfolg ausblieb, kehrte S. widerstrebend zur Operette zurück. Ab 1892 verbrachte er die warme Jahreszeit in (Bad) Ischl, wo er nach Verkauf seines bisherigen Sommersitzes in Schönau die Villa Erdödy erworben hatte. Die Feiern zu seinem 50jährigen Künstlerjubiläum (1894) wurden zu einem Wr. Großereignis. 1899 wurde posthum die von Adolf Müller d. J. (s. u. Adolf Müller d. Ä.) angebl. mit S.’ Billigung zusammengestellte Pasticcio-Operette „Wiener Blut“ begeistert aufgenommen und zog zahlreiche „Nachlaß-Operetten“ nach sich. S. zählt zu den weltweit populärsten und meistgespielten Komponisten aller Zeiten. Als Tanzmusikkomponist gelang ihm gem. mit seinem Bruder Josef die Emanzipation des Walzers von seiner ursprüngl. Zweckgebundenheit hin zu einem Vortragsstück für den Konzertsaal. Zugleich ist S. einer der Hauptrepräsentanten der sog. goldenen Operettenära, der mit der „Fledermaus“ und dem „Zigeunerbaron“ zwei Spitzenwerke der Gattung schuf. Seine Hauptverleger waren Mechetti (s. d.), Haslinger, C. A. Spina (s. d.) und A. Cranz. 1884 wurde S. das Bürgerrecht der Stadt Wien verliehen.

Weitere W. (auch s. u. Grove; Weinmann; SEV; Mailer, 1999): Aschenbrödel, Ballett, 1901 (von J. Bayer vollendet); 17 Operetten; über 500 Tänze, Märsche, Potpourris und Fantasien für Orchester, u. a.: Tritsch-Tratsch-Polka, 1858, Perpetuum mobile, 1861, Geschichten aus dem Wienerwald, 1868, Wein, Weib und Gesang, 1869, Pizzicato-Polka, 1869 (gem. m. Josef S.), Frühlingsstimmen, 1883; zahlreiche Arrangements fremder Werke für Orchester (zumeist verschollen); etc.
L.: Czeike (m. B.); Grove 1980, 2001 (beide m. B., W. u. L.); MGG; oeml; Riemann, 12. Aufl.; Wurzbach; L. Eisenberg, J. S., 1894; A. Weinmann, Verzeichnis sämtl. Werke von J. S. Vater und Sohn, (1956); H. Jäger-Sunstenau, J. S. …, 1965; M. Schönherr, Lanner, Strauß, Ziehrer. Synopt. Hdb. der Tänze und Märsche, 1982; F. Mailer, J. S. (Sohn). Leben und Werk in Briefen und Dokumenten 1–10, 1983–2007; N. Linke, Musik erobert die Welt …, 1987; S.-Elementar-Verzeichnis (SEV), 1990ff.; Die Fledermaus. Mitt. des Wr. Inst. für S.-Forschung 1ff., 1990ff.; M. Prawy, J. S., 2. Aufl. 1991; P. Kemp, Die Familie S. …, 2. Aufl. 1991, s. Reg.; Wr. Bonbons 1ff., 1993ff.; J. S., …, ed. A. Riethmüller – L. Finscher, 1995; Th. Aigner, Ausst. J. S. in Rußland, Tutzing 1995 (Kat.); N. Linke, J. S. (Sohn) …, 4. Aufl. 1996; K. Pahlen, J. S. und die Walzerdynastie, 1997; A. Mayer, J. S., 1998; F. Endler, J. S., 1998 (m. W. u. B.); F. Mailer, J. S. Kommentiertes Werksverzeichnis, 1999; O. Brusatti, J. S., 1999; R. Dachs, J. S.: „Was geh’ ich mich an?!“, 1999; W. Sinkovicz – H. Knaus, J. S., 1999; Vienna Music. Journal of the J. S. Society of Great Britain, 2000ff.; IKG, Wien.
(Th. Aigner)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 378f.
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