Šusta, Josef d. J. (1874–1945), Historiker und Politiker

Šusta Josef d. J., Historiker und Politiker. Geb. Wittingau, Böhmen (Třeboň, CZ), 19. 2. 1874; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 27. 5. 1945 (Selbstmord). Sohn von →Josef Š. d. Ä. – Š. besuchte das Gymn. in Wittingau und Budweis (České Budějovice) und stud. 1891–96 Geschichte an der tschech. Univ. Prag bei →Jaroslav Goll sowie 1893 am Inst. für Österr. Geschichtsforschung bei →Oswald Redlich und Franz Wickhoff. 1895–96 war er als Einjährig-Freiwilliger in Prag, 1896–98 als Stipendiat des Österr. Hist. Inst. in Rom (1898 Dr. phil. der Univ. Prag). 1900 habil. er sich in Prag für Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit und unterrichtete als Priv.Doz. an der tschech. Univ. Prag und als Prof. an der tschech. Handelsakad. 1905 wurde Š. ao. Prof., 1910 o. Prof., 1907 Ko-Dir. des Hist. Seminars, 1916/17 Dekan der phil. Fak. der tschech. Univ. Prag. 1909 wurde er k. M., 1916 ao., 1924 o. Mitgl., 1939 Präs. der Česká akad. věd a umění (ČAVU) sowie 1916 ao., 1933 o. Mitgl. der Kgl. böhm. Ges. der Wiss. 1919 lehnte er die Position eines Botschafters für das Dt. Reich ab, fungierte jedoch 1921–22 als Minister für Schulwesen in der Regierung Beneš. In der Zwischenkriegszeit war Š. auch in höheren Funktionen bei verschiedenen hist. und gesellschaftl. Ver. in der Tschechoslowakei (Historický klub, PEN-Klub, Svatobor) und auf internationaler Ebene (Comm. internationale de coopération intellectuelle, Royal Historical Society, School of Slavonic Studies, Société historique Algérienne) tätig. Nach 1939 versuchte Š. als Präs. der ČAVU nicht ohne Schwierigkeiten eine weitgehende Unabhängigkeit der tschech. Wiss. gegenüber dem Druck des nationalsozialist. Dtld. zu bewahren, wurde jedoch zu Loyalitätsbezeugungen gezwungen. Ohne seine Zustimmung wurde er 1939 in die Leitung des gleichgeschalteten Ver. Český svaz pro spolupráci s Němci entsandt. 1944 wurde er Mitgl. des Ehrenausschusses Liga proti bolševismu, wobei auch seine Freundschaft mit dem Staatspräs. Emil Hácha eine Rolle spielte. Im Mai 1945 legte er seine akadem. Ämter nieder; durch persönl. Angriffe von Journalisten wie auch durch Morddrohungen wurde er in den Selbstmord getrieben. Š.s hist. Werk gehört zu den herausragendsten Leistungen der tschech. Historiographie des 20. Jh. In seinen zahlreichen wiss. Publ. widmete er sich bes. der Geschichte der böhm. Länder im 13. und 14. Jh. und der Geschichte der Historiographie. Dazu verf. er Monographien über die europ. Geschichte 1812–70 und die Weltpolitik 1871–1914 und lieferte verschiedene kulturgeschichtl. Artikel für die Tagespresse. Einen wertvollen Beitr. zu seiner Autobiographie stellen der von ihm verf. Bildungsroman „Cizina“ (1914) sowie seine zweibändigen Memoiren dar, die die Zeit bis 1899 umfassen.

Weitere W.: s. LČL. – Nachlass: Národní archiv, Praha, CZ.
L.: Svobodné noviny, 2., 3. 6. 1945; Národní osvobození, 6. 6. 1945; Lidová demokracie, 7. 6. 1945; LČL (m. W.); Masaryk; Otto; Otto, Erg.Bd.; Věstník České akad. věd a umění 54, 1945, S. 5ff.; J. Klik, in: Časopis společnosti přátel starožitností 51–53, 1946, S. 275ff.; K. Kazbunda, Stolice dějin na pražské univ. 3, 1968, s. Reg.; F. Kutnar – J. Marek, Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví, 1997, s. Reg. (m. B.); Politická elita meziválečného Československa 1918–38, 1998 (m. B.); J. Lach, Š. a Dějiny lidstva, 2001; ders., J. Š. 1874–1945. A history of a life, a life in history, 2003; J. Blüml, J. Š., 2006; T. Borovský, in: Kultura jako téma a problém dějepisectví, ed. ders. u. a., 2006, S. 127ff.
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 63, 2012), S. 61f.
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