Szeptycki (Šeptyc’kyj) von und zu Szeptyce, Klemens (Klymentij) (Kazimierz, Kasimir, Kazymyr) Gf. von (1869–1951), Politiker, Großgrundbesitzer und Ordensmann

Szeptycki (Šeptyc’kyj) von und zu Szeptyce Klemens (Klymentij) (Kazimierz, Kasimir, Kazymyr) Gf. von, OSBM, Politiker, Großgrundbesitzer und Ordensmann. Geb. Przyłbice, Galizien (Prylbyči, UA), 17. 11. 1869; gest. Vladimir, UdSSR (RUS), 1. 5. 1951; röm.-kath., ab 1912 griech.-kath. Sechster von sieben Söhnen des Großgrundbesitzers und Politikers Jan Kanty Szeptycki (Šeptyc’kyj) von und zu Szeptyce (s. u.) und von Zofia, geb. Gfn. Fredro (1837–1904), der Tochter des Schriftstellers →Aleksander Gf. Fredro, Bruder von →Andrej Szeptycki von und zu Szeptyce und von →Stanisław Szeptycki von und zu Szeptyce. ─ Nach dem Besuch des St. Anna-Gymnasiums in Krakau (Kraków) studierte S. ab 1887 Rechtswissenschaften in Krakau, München (1888–89), Wien (1889‒90) und Paris; 1892 Dr. iur. in Krakau. Daneben absolvierte er auch eine forstwirtschaftliche Ausbildung. Ab 1890 Besitzer der Güter Dziewiętniki (Dev’jatnyky), Kołohury (Kolohory) und Jatwięgi (Jatvjahy) im Bezirk Bóbrka, wurde er 1900 in der Kurie des Großgrundbesitzes für den Wahlkreis Przemyśl-Jarosław in einer Nachwahl und neuerlich für die Periode 1901–07 in das Abgeordnetenhaus gewählt und gehörte als Polnisch-Konservativer (Podolake) dem Polenklub an. Er war Mitglied im sozialpolitischen, landwirtschaftlichen sowie im Zollausschuss und Berichterstatter des Gesetzesentwurfs zur Einführung einer Pensionsversicherung für private und öffentliche Angestellte. 1907–11 fungierte er als Präsident des galizischen Forstvereins und war an der Ausarbeitung des Allgemeinen österreichischen Forstgesetzes beteiligt. 1911 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und wurde im Benediktinerkloster Beuron als Novize aufgenommen. 1912, nach dem Tod des Vaters, konvertierte er zur griechisch-katholischen Kirche und trat in den von seinem Bruder Andrej gegründeten Studitenorden ein. Mit dem Konfessionswechsel, den er als Rückkehr zu den Wurzeln der Familie verstand, ging auch ein Wechsel des nationalen Bewusstseins einher. Er definierte sich nun wie sein Bruder Andrej als Ukrainer, während die anderen Geschwister polnisch blieben. S. studierte 1913–17 Theologie in Innsbruck und wurde 1915 zum Priester geweiht. Ab 1918 lebte er im Studitenkloster Uniów (Univ) bei Lemberg (L’viv), dessen Vorsteher (Ihumen) er 1926 wurde. Gemeinsam mit seinem Bruder Andrej war er 1936/37 an der Ausarbeitung einer neuen Mönchsregel (Tipikon) für den Orden beteiligt. Während ihn die sowjetischen Behörden nach der Besetzung von Lemberg 1939 ebenso wie den Metropoliten Andrej nicht belangten, wurden sein Bruder Leon und dessen Familie unter nicht vollständig geklärten Umständen ermordet. Im Oktober 1939 ernannte ihn sein Bruder ohne Rücksprache mit dem Vatikan zum griechisch-katholischen Exarchen für Russland und Sibirien. 1944 wurde er als Nachfolger seines Bruders Archimandrit des Studitenordens. Im selben Jahr leitete er im Auftrag des neuen Metropoliten Josip Slipyj eine Kirchendelegation, die mit dem Volkskommissär für religiöse Angelegenheiten in Moskau verhandelte. Nach der Verhaftung aller Bischöfe 1945 lag die Führung der Kirche de facto in seinen Händen. Erfolglos versuchte er, u. a. durch eine Unterschriftenaktion, den staatlichen Repressionen entgegenzuwirken. Nach der offiziellen Eingliederung der griechisch-katholischen in die russisch-orthodoxe Kirche 1946 kehrte S. in das Kloster Univ zurück, wo er im Juni 1947 verhaftet wurde. Als Vorwand diente ein Brief an den Vatikan, in dem er die Unterdrückung der Kirche beklagte. Nach etwa einem Jahr Untersuchungshaft in Kiew wurde er zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt und ins Gefängnis von Vladimir gebracht, wo er auch starb. Sein Grab konnte bis heute nicht gefunden werden. 1995 wurde S. mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, da er während des 2. Weltkriegs im Kloster Univ zahlreiche jüdische Kinder, unter anderem den späteren polnischen Außenminister Adam Daniel Rotfeld, versteckt hatte. 2001 sprach Papst Johannes Paul II. S. selig. Sein Vater, der Großgrundbesitzer und Politiker Jan Kanty Szeptycki (Šeptyc’kyj) von und zu Szeptyce (geb. Przyłbice, 1. 10. 1836; gest. ebd., 13. 11. 1912) stammte aus einem ursprünglich ruthenischen, später polonisierten Bojarengeschlecht. Während der Großvater noch griechisch-katholisch war, lavierte der Vater zwischen den beiden Konfessionen. Jan Kanty S. war bereits römisch-katholisch, verstand sich als Pole und besaß mehrere Güter in Ostgalizien und Kongresspolen. Neben seiner langjährigen Tätigkeit im galizischen Landtag (1870–76 und 1882–1912) saß er 1870–73 im Wiener Abgeordnetenhaus sowie ab 1899 im Herrenhaus. S. war weiters Mitglied der Ukrainischen theologischen wissenschaftlichen Gesellschaft, des Ukrainischen Katholischen Instituts sowie des Ukrainischen katholischen Metropolit-Rutsʼkyj-Instituts für die kirchliche Einheit.

W.: Opinia komitetu c.k. galicyjskiego tow. gospodarskiego w sprawie Ustawy lasowej, (1904); Mytropolyt Andrij ta onovlennja schidnoji černečoji tradyciji, in: Bohoslovija 1-2, 1926.
L. (tw. auch für Jan Kanty S.): PSB; Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes ... XVI.-XVII. Session, 1900–01, s. Reg.; Svitylnyk Istiny. The Light-Bearer. The Historical Sources of the Ukrainian Catholic Theological Academy of Lviv, ed. P. Synycja, 1, 1973, S. 151, 388, 562, 576; R. Torzecki, Kwestia ukraińska w Polsce w latach 1923-29, 1989, S. 132, 174, 318; Morality and Reality. The Life and Times of A. Sheptyts’kyi, ed. P. R. Magocsi, 1989, s. Reg. (m. B.); Metropolita Andrzej S., ed. A. A. Zięba, 1994, s. Reg. (m. B.); J. K. Šeptycʼkyj, Otecʼ K. Š., 1996; N. Pikulyk, K. Š – sluha božyj, 1997; E. Prus, Patriarcha galicyjski. Rzecz o Arcybiskupie Andrzeju S., metropolicie grekokatolickim (1865-1944), 1999, passim; S. Dmytruch, Blažennyj K. Š. pro molitvu u vidrodženych monastyrjach Studijsʼkoho ustavu, 2002; Church of the martyrs, ed. O. Turij, 2004, S. 36 (m. B.); H. Binder, Galizien in Wien, 2005, s. Reg.; UA, Wien; UA, Innsbruck, Tirol.
(F. Adlgasser – M. Kaltenbrunner – M. Nadraga)  
Zuletzt aktualisiert: 15.11.2014  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 3 (15.11.2014)