Szily, Pál von (1878–1945), Mediziner und Biochemiker

Szily Pál von, Mediziner und Biochemiker. Geb. Budapest (H), 16. 5. 1878; gest. Mosonmagyaróvár (H), 18. 8. 1945; mos. Sohn von →Adolf S. Ritter v. Szilsárkány, Bruder von Aurél v. S. (s. u.). – S. stud. ab 1896 Med. an der Univ. Budapest; 1902 Dr. med. Ab 1901 Ass. am Inst. für Physiol., begann er dort mit grundlegenden Arbeiten zur Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration sowie der sauren bzw. alkal. Reaktion mit Indikatoren. Ebenso gelang ihm die Herstellung von künstl. Pufferlösungen, die 1909 zur Festlegung der ph-Wert-Skala durch den Biochemiker Søren Sørensen führten. 1903 präsentierte S. seine Forschungen vor den Mitgl. der Physiolog. Ges. in Berlin und veröff. seine Ergebnisse unter dem Titel „Indicatorok alkalmazásáról állati folyadékok vegyhatásának meghatározásárá“ (in: Orvosi Hetilap 45). Darüber hinaus entwickelte er Methoden zur Bestimmung des Säuregehalts des Blutserums. 1905 wechselte S. an die chirurg. Klinik der Univ. Budapest, 1909 wurde er Dir. des serolog. und bakteriolog. Laboratoriums am jüd. Krankenhaus. Dort untersuchte er die therapeut. Wirkung von Salvarsan und korr. mit Paul Ehrlich, der die Einführung des Medikaments in Ungarn mit Interesse verfolgte. Im 1. Weltkrieg arbeitete S. als Epidemiologe und machte sich bei der Behandlung von Typhusepidemien sowie bei der Bekämpfung von Pferdeseuchen verdient. Nach Kriegsende galt sein Interesse der Protein-Therapie sowie der Chemotherapie. Daneben betrieb er in Budapest eine eigene Praxis. 1928 verlegte er diese nach Magyaróvár (Mosonmagyaróvár), wo er fortan als Urologe tätig war. Seine Fachbeitrr. erschienen in der „Wiener Medizinischen Wochenschrift“ und in der „Berliner Klinischen Wochenschrift“ (1910–19). 1944 wurde S. von den Nationalsozialisten verhaftet und in ein Sammellager bei Győr verbracht. Nach seiner Freilassung kehrte er nach Mosonmagyaróvár zurück, starb aber bald darauf an den Folgen der Haft. Sein Bruder, der Ophthalmologe Aurél v. S. (geb. Budapest, 1. 6. 1880; gest. ebd., 13. 9. 1945; mos.), stud. nach Besuch des Gymn. ab 1898 Med. an den Univ. Budapest und Freiburg; 1905 Dr. med. in Budapest. Anschließend wirkte er bis 1924 an der Univ.augenklinik in Freiburg im Breisgau, unterbrochen von Forschungsaufenthalten am Robert-Koch-Inst. in Berlin (1907–08), am Inst. für experimentelle Therapie in Frankfurt am Main (1908–09), am Inst. für Experimentelle Krebsforschung in Heidelberg bei →Vinzenz Czerny (1913) und durch seinen Kriegseinsatz (1914–18); 1910 Habil. für Augenheilkde., 1913 ao. Prof. 1924 als o. Prof. an die Univ. Münster berufen, übernahm er dort die Leitung der neu gegr. Augenklinik, die unter seiner Ägide rasch (inter-)nationales Ansehen gewann; 1932/33 Dekan. Seine aus eigenen Mitteln geschaffenen Smlgg., Modelle, Moulagen und Zeichnungen galten als einzigartiges Lehr- und Unterrichtsmaterial. 1935 wurde Aurél v. S., der nach den Nürnberger Gesetzen als „Volljude“ galt, zwangspensioniert, 1937 rückwirkend mit 1936 emer. Nach jahrelangen Demütigungen kehrte er 1939 nach Budapest zurück, wo er eine Privatpraxis betrieb. Anfang September 1945 als Prof. an die Univ. Budapest berufen, konnte er seinen Rückruf nach Münster nicht mehr erleben. Aurél v. S. befasste sich mit anatom., embryolog., entwicklungsgeschichtl. und immunolog. Stud. am Auge. In jungen Jahren wies er erstmals die embryolog. Abstammung der Irismuskeln vom Ektoderm nach, später erkannte er als Erster die Bedeutung von allerg. Reaktionen in der Augenheilkde. und entwickelte gem. mit seinem Ass. Helmut Machemer eine neue Methode der zweipoligen Elektrolyse zur Behandlung der Netzhautablösung. Mit seinen Publ. „Die Anaphylaxie in der Augenheilkunde“, 1914, und „Atlas der Kriegsaugenheilkunde …“, 1916–18, der lange Zeit als ein ophthalmolog. Standardwerk galt, erwarb er sich über die Grenzen Dtld. hinaus einen ausgez. Ruf. Sein großangelegtes Werk über „Vergleichende Morphogenese und Morphographie der Papilla nervi optici“, das 1944 fertiggestellt war, konnte aufgrund der Kriegswirren nicht veröff. werden. Auch spätere Bemühungen seiner Ehefrau um eine Drucklegung scheiterten. Ab 1927 Mithrsg., ab 1930 Schriftleiter der „Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde“, war Aurél v. S. ab 1927 im International Council of Ophthalmology vertreten und Vorstandsmitgl. der International Association for the Prevention of Blindness. 1925 erhielt er den Graefe-Preis.

Weitere W.: Aurél v. S.: s. Das geistige Ungarn; Hdb. der Emigration; M. Zsidó Lex.
L.: M. Életr. Lex.; F. Szabadváry, in: Journal of Chemical Education 41, 1964, S. 105ff.; ders., in: Orvosi Hetilap 105, 1964, S. 328f.; ders., in: Orvostörténeti Közlemények 38, 1966, S. 121ff.; Complete Dictionary of Scientific Biography, 2008 (nur online, Zugriff 18. 1. 2012); H. Morgenstern, Jüd. Biograph. Lex., 2. Aufl. 2011 (auch für Aurél v. S.); UA, Budapest, H. – Aurél v. S.: Das geistige Ungarn (m. W.); Hdb. der Emigration 2 (m. W.); M. Zsidó Lex. (m. W.); E. Engelking, in: Klin. Monatsbll. für Augenheilkde. 111, 1945/46, S. 65ff.; R. Franz, ebd. 192, 1988, S. 252ff. (m. B. u. L.); H. J. Küchle, Augenkliniken dt.sprachiger Hochschulen und ihre Lehrstuhlinhaber im 19. und 20. Jh., 2005, S. 298ff. (m. B.); J. M. Rohrbach, Augenheilkde. im Nationalsozialismus, 2007, S. 104ff. (m. B.); ders. u. a., in: Klin. Monatsbll. für Augenheilkde. 227, 2010, S. 659ff. (m. B. u. L.); Bundesarchiv Berlin, UA, Münster, beide D; Mitt. Ursula Ferdinand, Münster, D.
(F. Krogmann – K. Kapronczay – D. Angetter)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 64, 2013), S. 158f.
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