Tauber, Alfred (1866–1942), Mathematiker

Tauber Alfred, Mathematiker. Geb. Preßburg, Ungarn (Bratislava, SK), 5. 11. 1866; gest. KZ Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren (CZ), 26. 7. 1942; mos., ab 1892 röm.-kath., ab 1920 konfessionslos. Sohn eines Holzhändlers. – Nach Besuch des Communal-Real-Obergymn. in Wien-Mariahilf (1876–84) stud. T. ab 1884 Mathematik bei Emil Weyr und →Gustav v. Escherich sowie Physik an der Univ. Wien und hörte Vorlesungen aus Phil., Nationalökonomie und Statistik; 1889 Dr. phil. 1891 für die gesamte Mathematik habil., begann er seine Vorlesungstätigkeit 1892 an der Univ. Wien. 1902 tit. ao. Prof., 1908 ao. Prof., 1919 o. Prof. Daneben unterrichtete er ab 1899 an der TH, wo er als Nachfolger →Viktor Sersawys ab 1901 prov., ab Jänner 1902 als Hon.-Doz. für Versicherungsmathematik Kurse hielt und die Leitung des Lehrstuhls für Versicherungsmathematik übernahm. 1892–1908 war T. auch als Chefmathematiker bei der Lebensversicherungsges. Phönix in Wien tätig; danach stand er dort bis 1912 als mathemat. Konsulent zur Verfügung. 1897 nahm er am 1. Internationalen Mathematikerkongress in Zürich teil. Daneben fungierte er als versicherungstechn. Berater der Wr. HK und deren beeidigter Sachverständiger am Handelsgericht Wien. In den 1920er-Jahren mehrmals krankheitshalber beurlaubt, wurde er 1933 aufgrund von Sparmaßnahmen sowohl an der Univ. als auch an der TH i. d. R. versetzt. T. hielt jedoch noch bis 1938 an beiden Lehranstalten Vorlesungen über Versicherungsmathematik, 1936–38 auch über Mathemat. Statistik. Im April 1938 wurde ihm jegl. Lehrtätigkeit verboten. I. d. F. musste er seine Wohnung aufgeben und den Großtl. seines Eigentums veräußern. Eine geplante Auswanderung nach Ecuador war nicht mehr mögl., im Juni 1942 wurde T. in das KZ Theresienstadt deportiert. Der zu Lebzeiten führende Fachmann für Versicherungsmathematik in Österr. befasste sich zusätzl. mit linearen Differentialgleichungen, Gammafunktionen und mit Statistik. Mit der Potenzial- und Funktionentheorie begründete er einen noch immer florierenden Forschungszweig; berühmt wurde T. dabei durch die nach ihm benannten T.’schen Sätze bzw. das T.-Theorem, die das Umkehrproblem des Abelschen Grenzwertsatzes zum Inhalt haben (Umkehrsätze der Limitierungs- bzw. Summierungsverfahren). 1903–07 führte er Untersuchungen zur Sterblichkeit für eine Vereinigung von Versicherungsges. durch. Ab 1894 Mitgl. der Dt. Mathematiker-Vereinigung, erhielt er 1933 das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österr.

W.: s. Binder; Einhorn; Ottowitz.
L.: Czeike; Poggendorff 4–7a; A. Lechner, Geschichte der TH in Wien (1815–1940), 1942, S. 227f., 239; 150 Jahre TH in Wien 1815–1965, ed. H. Sequenz, 1–3, 1965, s. Reg. (m. B.); M. Pinl – A. Dick, in: Jahresber. der Dt. Mathematiker-Vereinigung 75, 1973/74, S. 202f.; M. Kowall, Die 1938 von der Univ. verwiesenen Mitgl. des Akadem. Lehrkörpers der Phil. Fak. Wien, phil. Diss. Wien, 1983, S. 289ff.; Ch. Binder, in: Jb. Überblicke Mathematik 17, 1984, S. 151ff. (m. W.); R. Einhorn, Vertreter der Mathematik und Geometrie an den Wr. Hochschulen 1900–40, 1, 1985, S. 323ff. (m. W.), 2, 1985, Tafel 12 (B.); Vertriebene Vernunft, ed. F. Stadler, 2, 1988, s. Reg.; N. Ottowitz, Der Mathematikunterricht an der TH in Wien 1815–1918, 2, 1992, S. 276ff., 298ff. (m. B. u. W.); W. L. Reiter, in: Internationale Mathemat. Nachrichten 187, 2001, S. 2, 4, 15; K. Sigmund, „Kühler Abschied von Europa“ – Wien 1938 und der Exodus der Mathematik, 2001, S. 67ff. (m. B.); ders., in: The Mathematical Intelligencer 26, 2004, S. 21ff.; ders., in: Österr. Umgang mit dem Nationalsozialismus. Die Folgen für die naturwiss. und humanist. Lehre, ed. F. Stadler u. a., 2004, S. 111ff., 117, 120, 123f.; DÖW, TU, UA, WStLA, alle Wien.
(M. Pesditschek)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 64, 2013), S. 207f.
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