Thausing, Mori(t)z (1838–1884), Kunsthistoriker

Thausing Mori(t)z, Kunsthistoriker. Geb. Schloss Tschischkowitz, Böhmen (Čížkovice, CZ), 3. 6. 1838; gest. Leitmeritz, Böhmen (Litoměřice, CZ), 11. 8. 1884 (Selbstmord); röm.-kath. Sohn des herrschaftl. Gutsverwalters Julius T. und von Eleonore T., geb. Meyer, Großvater der Theologin und Kirchenhistorikerin Grete Mecenseffy; ab 1865 mit Friederike Wilhelmine Ernst verheiratet. – Nach Absolv. des Gymn. in Brüx (Most) stud. T. ab 1856 zunächst in Prag und ab 1858 in Wien u. a. bei →Theodor v. Sickel; 1859 Mitgl. des Inst. für österr. Geschichtsforschung (IÖG) in Wien, 1861 Prüfung aus den hist. Hilfswiss., 1862 Dr. phil. (in absentia) an der Univ. Tübingen mit einer Arbeit über die Nibelungen in der Geschichte und Dichtung. T., dessen erste Stud. eng mit linguist. und hist. Fragestellungen zusammenhingen, bildete sich auch kurz in München bei Heinrich v. Sybel weiter. Durch →Rudolf v. Eitelberger-Edelberg, den ersten Inhaber einer Lehrkanzel für Kunstgeschichte in Wien, kam T. in Kontakt mit der Kunstforschung: 1862 begann er seine wiss. Karriere mit einer Anstellung als Bibl.ass. an der Wr. ABK und war dort 1862–65 als Doz. für Allg. Welt- und Kulturgeschichte tätig. Ab 1864 arbeitete T. zuerst als Offizial, ab 1868 als Bibliothekar und Galerieinsp., ab 1876 als Dir. in der Graphiksmlg. des Hofmus. (Albertina) und wurde 1874 zum Prof. am IÖG ernannt. Kurze Zeit später (1876) publ. T. eine grundlegende und i. d. F. ins Französ. (1878) und Engl. (1882) übers. Monographie zu Albrecht Dürer. 1873 ao. Prof. für Kunstgeschichte an der Univ. Wien und ab 1879 Zweiter Ordinarius. Seine letzten Lebensjahre wurden durch eine progressive Nervenkrankheit überschattet. Noch im Oktober 1883 übernahm er die interimist. Leitung des neu gegr. Ist. Austriaco di Studi Storici in Rom, ehe er sich während eines Erholungsaufenthalts in seiner Heimat das Leben nahm. T.s grundlegende Leistung besteht in der method. Trennung zwischen hist. Forschung und Ästhetik bzw. im Aufzeigen der hist. Relativität ästhet. Normsetzungen. Demgemäß sah T. – und dies bereits vor →Alois Riegl – die primäre Aufgabe des Historikers nicht im (wertenden) Qualitätsurteil (programmat. in seiner Wr. Antrittsvorlesung „Die Stellung der Kunstgeschichte als Wissenschaft“, 1873, dargelegt, 1883 publ.), sondern im Aufzeigen der Bedingungen, unter denen Kunstwerke entstehen, wofür ihm die akrib., v. a. physiognom. Detailformen analysierende Methodik des befreundeten italien. Naturwiss. →Giovanni Morelli als wichtiges Vorbild diente. Zusammen mit seinen Schülern Franz Wickhoff und Alois Riegl gehört T. zu den wichtigsten Vertretern der (älteren) Schule der Wr. Kunstgeschichte. Seine Arbeiten beschäftigten sich v. a. mit der dt. und italien. Kunst des 16. Jh. Der modernen Kunst (u. a. →Hans Makart) stand er – im Gegensatz zur historist. Architektur (Prunkwerk über die Wr. Votivkirche, 1879) – krit. bis ablehnend gegenüber. 1876 Ritter des Franz Joseph-Ordens; ab 1880 k. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien, Ehrenmitgl. der kgl. belg. Kunst-Akad. zu Antwerpen.

Weitere W.: s. Wurzbach; Johns.
L.: WZ, 26. 8. 1884; ADB; Almanach Wien 35, 1885, S. 162ff.; Lhotsky, Inst., s. Reg.; Otto; Wurzbach (m. W.); E. Mühlbacher, in: MIÖG 6, 1885, S. 198ff.; J. v. Schlosser, ebd., Erg.Bd. 13, 1934, S. 159f.; A. Rosenauer, in: Wr. Jb. für Kunstgeschichte 36, 1983, S. 135ff.; G. Sprigath, in: Z. für Ästhetik und allg. Kunstwiss. 40/1, 1995, S. 39ff.; B. Dossi, Albertina …, 1998, S. 33f., 37f.; P. Betthausen u. a., Metzler Kunsthistoriker Lex., 1999; K. Johns, in: Journal of Art Historiography, 2009, Nr. 1 (m. W., nur online); UA, Tübingen, D.
(W. Telesko)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 65, 2014), S. 287f.
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