Thonet, Michael d. Ä. (1796–1871), Tischler und Industrieller

Thonet Michael d. Ä., Tischler und Industrieller. Geb. Boppard, Frankreich (D), 2. 7. 1796; gest. Wien, 3. 3. 1871; röm.-kath. Sohn des Gerbermeisters Franz Anton T. (1760/61–1837) und von Margaretha T., geb. Fischbach, Vater von insges. 13 Kindern, darunter →Michael T. d. J., August, Josef und Jakob T. (alle s. u. Michael T. d. J.); ab 1820 mit Anna Maria Crass (Grahs) verehel. – T. absolv. in seiner Geburtsstadt eine Tischlerlehre und richtete bereits 1819 eine eigene Werkstatt ein. Um 1830 begann er mit Versuchen, Möbelteile aus verleimten und gebogenen Furnierstreifen anzufertigen, und stellte Sitzmöbel in Kleinserien her. Sein 1840 in Preußen eingereichtes Patent wurde abgelehnt, in Frankreich jedoch 1841 bewilligt. Im selben Jahr präsentierte er seine Möbel bei der Gewerbeausst. in Koblenz, wo →Klemens Fürst Metternich-Winneburg auf T.s Arbeit aufmerksam wurde und ihn nach Wien einlud. 1842 übersiedelte T. mit seiner Familie dorthin, stellte seine Bugholzmöbel bei Hof vor und erhielt bereits im Juli desselben Jahres das Privilegium, jede, auch die sprödeste Gattung Holz auf chem.-mechan. Weg in beliebige Formungen und Schweifungen zu biegen. Er durfte jedoch keine eigene Werkstatt einrichten und arbeitete daher zunächst bei dem Möbelfabrikanten Clemens List. 1843–49 beteiligte er sich als Subunternehmer des Möbel- und Parkettfabrikanten →Carl Leistler u. a. an der Neuausstattung des Stadtpalais Liechtenstein und fertigte Parkettböden und sog. Laufsessel (leichte Beistellstühle) aus gebogenem Holz. Dabei konnte er sein Holzbiegeverfahren verbessern: Statt Furnierstreifen bog T. nun verleimte Stabbündel zu Stuhlelementen. 1849 richtete er mit seinen Söhnen in Gumpendorf (Wien 6) eine Werkstatt ein, begann mit der Herstellung von Bugholzstühlen und erhielt dafür bereits 1851 auf der Weltausst. in London die Bronzemedaille, die höchste Ausz. für Ind.produkte. 1852 übersiedelte T. in eine größere Werkstatt und ließ die neue Stabverleim-Biegetechnik durch ein weiteres Privilegium schützen. 1853 übertrug er das Unternehmen auf seine fünf Söhne Franz, Michael d. J., August, Josef und Jakob, behielt sich jedoch die Gesamtleitung vor. Mit seinen in einer verbesserten Schichtverleim-Technik hergestellten Stühlen nahm die Fa. Gebrüder Thonet 1855 an der Pariser Weltausst. teil und begann mit dem Aufbau eines internationalen Vertriebssystems. Nach weiteren Experimenten gelang T. schließl. das Biegen von Massivholzstäben; im Juli 1856 reichte er ein neues Privileg zur Anfertigung von Stühlen, Fauteuils, Canapés und Tischfüßen aus mittels Dampf und siedenden Flüssigkeiten gebogenem Holz ein. Im selben Jahr erhielten er und seine Söhne die österr. Staatsbürgerschaft. Da die Wr. Werkstatt zu klein wurde, errichtete T. noch 1856 die erste Bugholzmöbelfabrik im mähr. Koritschan (Koryčany), wo Buchenwälder und billige Arbeitskräfte vorhanden waren. Weitere Fabriken folgten 1862 in Bistritz am Hostein (Bystřice pod Hostýnem), 1865 in Nagyugrócz (Veľké Uherce) und 1867 in Hallenkau (Halenkov). 1862 nahm die Fa. an der 2. Londoner Weltausst. teil und präsentierte den ersten Schaukelstuhl aus gebogenem Holz sowie den – später am meisten produzierten und verkauften – Stuhl Nr. 14. Auf der 2. Pariser Weltausst. 1867 waren bereits 18 unterschiedl. Stuhlmodelle zu sehen. Obgleich das Massivbiege-Patent 1869 ausgelaufen war, konnten die Gebrüder T. das Unternehmen auch nach dem Tod von Michael T. d. Ä. erfolgreich weiterführen. Um 1871 bestanden Verkaufsniederlassungen in Prag, München, Brüssel, Rom, Moskau, New York etc. T. erhielt zahlreiche Ausz., u. a. 1863 das goldene Verdienstkreuz mit der Krone; 1867 Ritter des mexikan. Guadalupe-Ordens, 1869 Ritter des Franz Joseph-Ordens.

L.: Die Presse, Neues Fremden-Bl. (A.), 4. 3. 1871; Czeike; Wurzbach; Ch. Wilk, T.: 150 Years of Furniture, 1980; K. Mang, T. Bugholzmöbel, 1982 (m. B.); L’industrie T., Paris 1986 (Kat.); Bent Wood and Metal Furniture 1850–1946, ed. D. E. Ostergard, New York – Washington 1987, s. Reg. (Kat.); A. v. Vegesack, Das T. Buch, 1987 (m. B.); Sitz-Gelegenheiten. Bugholz- und Stahlrohrmöbel von T., ed. G. Bott, Nürnberg 1989 (Kat., m. B.); T., Biegen oder Brechen, Koblenz 1996 (Kat., m. B.); The Dictionary of Art 30, 1996; Gebrüder T. Möbel aus gebogenem Holz, ed. E. B. Ottillinger, 2. Aufl. 2005 (m. B.); H. Kähne, Die T.s in Boppard, 2008 (m. B.); J. Uhlíř, Vom Wr. Stuhl zum Architektenmöbel, 2009, s. Reg.
(E. B. Ottillinger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 65, 2014), S. 307f.
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