Thuille Ludwig, Komponist, Pädagoge und Pianist. Geb. Bozen, Tirol (Bolzano/Bozen, I), 30. 11. 1861; gest. München, Dt. Reich (D), 5. 2. 1907. T.s Vorfahren stammten aus dem Vinschgau. Sohn des Buch- und Kunsthändlers Johann T. (1810–1872) und seiner Frau Maria T., geb. Offer (1826–1867); verheiratet mit Emma T., geb. Dietl. – Früh Halbwaise, kam T. kurz vor dem Tod des Vaters in die Obhut eines Onkels in Kremsmünster. Im dortigen Stiftsgymn. hatte er als Sängerknabe einen Freiplatz. 1876 lernte ihn Pauline Nagiller, Witwe des Innsbrucker Komponisten →Matthäus Nagiller, kennen und sorgte fortan für ihn. In Innsbruck unterrichtete ihn →Joseph Pembaur d. Ä. in Klavier, Orgel und Theorie. Über Frau Nagiller kam T. in Kontakt mit der Familie Strauss, →Richard Strauss wurde sein bester Freund. Nach der Matura (1879) ging T. an die Kgl. Musikschule in München, wo Josef Rheinberger (Orgel, Komposition) und Karl Bärmann (Klavier) seine Lehrer waren. Schon zur Stud.zeit erschien sein erstes Werk, eine Violinsonate, im Druck. Im Examenskonzert (1882) spielte er selbst den Solopart seines Klavierkonzerts D-Dur. Bereits 1883 wurde er als Lehrer für Klavier und Harmonielehre an der Musikschule (ab 1892 Akad. der Tonkunst) angestellt; als Prof. 1890 pragmatisiert, folgte er 1901 Rheinberger als Kompositionslehrer nach. Im Münchner Konzertleben wirkte T. als Pianist und Liedbegleiter sowie als Leiter des Männergesangsver. Liederhort. Die Lehrtätigkeit an der Akad., die ihm wenig Zeit zum Komponieren ließ, empfand er in späteren Jahren als „Tretmühle“. Sein Ruhm als Kompositionslehrer beruhte auf engagiertem Privatunterricht. Er half zahlreichen Schülern, den ihrer Persönlichkeit gemäßen künstler. Weg zu finden, ohne sie in eine bestimmte Richtung zu zwingen. Die sog. Münchner Schule war von der Persönlichkeit T.s geprägt, nicht von einem ästhet. Programm – eine konsequente Haltung angesichts der Pluralität der Stile um 1900. Seine gem. mit Rudolf Louis erarbeitete „Harmonielehre“ (1907, 10. Aufl. 1933) folgt einer ähnl. Methode und wurde für Jahrzehnte zum Standardwerk. Sie sollte kein spekulatives System oder mechan. Übungsbuch bieten, sondern über das Hören des modernen Musikers den Sinn für Harmonik fördern. Als Komponist vertrat T., auch in Abgrenzung zu Strauss, eine gemäßigte Moderne (oder Neuromantik) und suchte die klass. Formen durch spannungsreiche Harmonik und formale Freiheiten weiterzuentwickeln. Das Sextett für Klavier und Bläser, bis heute ein Repertoirestück, zeugt vom Klangsinn des Melodikers T. Als sein reifstes Kammermusikwerk gilt das Klavierquintett Es-Dur (1901). Auf Anregung des Wagnerianers Alexander Ritter begann T. neben Liedern, Chorwerken und Kammermusik auch Opern zu komponieren. Deren erste, „Theuerdank“ (Text: Ritter), 1897 von Strauss uraufgef., wurde zwar mit dem Prinzregent-Luitpold-Preis ausgez., hielt sich aber nicht auf der Bühne. T.s größter Erfolg war das Märchenspiel „Lobetanz“ (Text: Otto Julius Bierbaum) über einen Spielmann, der mit seinem Geigenspiel eine melanchol. Prinzessin heilt. Um 1990 begann man T. wiederzuentdecken; bisher unveröff. Werke (Klavierquintett g-moll, Klaviertrio Es-Dur) erschienen im Druck. Mittlerweile liegen die Sinfonie F-Dur und das Klavierkonzert D-Dur sowie ausgewählte Lieder und die gesamte Kammermusik in CD-Aufnahmen vor. Für T.s Werk setzt sich die 2007 gegr. T.-Ges. ein.