Trebitsch, Rudolf; Ps. Hans Dietrolf (1876–1918), Ethnologe, Sammler und Mediziner

Trebitsch Rudolf, Ps. Hans Dietrolf, Ethnologe, Sammler und Mediziner. Geb. Wien, 28. 1. 1876; gest. Graz (Stmk.), 9. 10. 1918 (Selbstmord); mos., ab 1910 evang. AB. Sohn von →Leopold T. und Malvine T., geb. Singer (geb. Pest/Budapest, H, 8. oder 9. 6. 1848; gest. Wien, 5. 4. 1918), Bruder von →Arthur T. und Heinrich T. (geb. Wien, 21. 6. 1872; gest. Nizza/Nice, F, 18. 8. 1942), Halbbruder des Schriftstellers und George-Bernard-Shaw-Übers. Siegfried T. (geb. Wien, 21. 12. 1868; gest. Zürich, CH, 3. 6. 1956). – Nach der Matura 1894 in Wien stud. T. Med. (1900 Dr. med.) und 1901–06 Volkskde. (1911 Dr. phil.), daneben war er 1901–09 als Hospitant an Wr. (dermatolog.) Kliniken tätig. Ab 1909 widmete sich T. ausschließl. ethnolog. und anthropolog. Stud. Gefördert von seinen Lehrern →Michael Haberlandt und →Rudolf Pöch, interessierte er sich insbes. für „Rand-“ bzw. „Restvölker“ und aussterbende Sprachen, aber auch für ethnomed. Aspekte. Nach Auslandsaufenthalten u. a. in Island (1904) unternahm T. 1906–13 im Auftrag der k. Akad. der Wiss. in Wien und deren Phonogrammarchiv Forschungsreisen nach Westgrönland (gem. mit dem Zoologen Gustav Stiasny) und in Europa (Irland, Schottland, Wales, Bretagne, Isle of Man, Baskenland). Mit (fachl.) Unterstützung u. a. von →Hugo Schuchardt fertigte er 262 Phonogramme mit unikalen Sprach- und Musikaufnahmen an, z. B. die ältesten im Rahmen von systemat. Feldforschung entstandenen Tondokumente breton. und bask., z. Tl. heute nicht mehr gesprochener Dialekte. Für das Berliner Phonogramm-Archiv machte T. Musikaufnahmen (41 Walzen, davon 26 Originale, sind erhalten). Die auf diesen Reisen und später für Zwecke einer vergleichenden europ. Volkskde. erworbenen Ethnographica sowie zoolog., botan. und mineralog. Objekte aus Westgrönland übergab T. Wr. Mus.: dem Naturhist. Hofmus., dem Mus. für Völkerkde. (457 Objekte aus Grönland) und dem Österr. Mus. für Volkskde. (ca. 800 Objekte, davon 273 aus der Bretagne und 412 aus dem Baskenland), das T., seit 1914 im Vorstand des Ver. für österr. Volkskde., finanziell förderte (u. a. mit einem Legat von 100.000 Kronen). Bücher gingen auch an die Hofbibl. und das anthropolog.-ethnograph. Inst. der Univ. Wien. 1915 wurde T. trotz fehlender Praxis als Militärarzt zunächst dem Res.spital in Karansebesch (Caransebeș) zugewiesen, später anderen Garnisons-, Res.- bzw. Kriegsspitälern in Wien; sein Testament legt eine aus dieser Zwangsverpflichtung resultierende Depression als Grund für seinen Selbstmordversuch während eines Sanatoriumsaufenthalts in Judendorf bei Graz nahe, an dessen Folgen er starb. Unter seinem Ps. schrieb T. Ged., z. Tl. der Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin Milena Wlodzimirska gewidmete Drehbücher und das Operettenlibretto „Tschiripi“ (1916). Vier Ged. wurden u. a. von seinem Freund Richard Stöhr bzw. →Ludwig Rochlitzer vertont. Dem Spott von →Karl Kraus ausgesetzt, war und ist T. als (Populär-)Wiss., der sich gegen die rassenideolog. Theorien seiner Zeit wandte und mit Publ. und Vorträgen auch im Bereich der Volksbildung (Urania) wirkte, umstritten. Um die frühe phonograph. Feldforschung und die Institutionalisierung der Volkskde. in Österr. hat sich T. jedoch bleibende Verdienste erworben. T. war Mitgl. der Geograph. Ges. und der Anthropolog. Ges. in Wien. 1914 Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

Weitere W. (s. auch The Collections of R. T.; Hurch; Website Hohenems Geneal.): Phonograph. Aufnahmen …, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 115, Abt. I, 1906, Anzeiger der k. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl. 45, 1908, Nr. V, XXVI, 46, 1909, Nr. XXVII; Bei den Eskimos in Westgrönland, 1910; Fellboote und Felle als Schiffsfahrzeuge …, phil. Diss. Wien, 1911; Versuch einer Psychol. der Volksmed. und des Aberglaubens, in: Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien 43, 1913; W. Wundts „Elemente der Völkerpsychologie“ und die moderne Ethnol., in: Z. für angewandte Psychol. 8, 1914; Bask. Sprach- und Musikaufnahmen …, in: Anzeiger der k. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl. 51, 1914, Nr. XI; Rassenfragen, in: Urania. WS für Volksbildung 10, 1917, Nr. 17. – Teilnachlässe: Österr. Mus. für Volkskde., Österr. Nationalbibl., beide Wien; UB, Graz, Stmk.; Berliner Phonogramm-Archiv, D; Koldo Mitxelena Kulturunea, Donostia – San Sebastián, E.
L.: M. Haberlandt, in: Z. für österr. Volkskde. 24, 1918, S. 135; The Collections of R. T., 2003 (m. W.); S. Ziegler, Die Wachszylinder des Berliner Phonogramm-Archivs, 2006, S. 296ff.; M. Beitl, in: Österr. Z. für Volkskde. 62, 2008, S. 316ff.; M. Schindler, in: Begegnungen. FS für K. Köstlin, 2008, S. 274ff.; B. Hurch, in: Österr. Z. für Volkskde. 63, 2009, S. 5ff. (m. W.); Ch. Liebl, in: Jb. des Phonogrammarchivs der ÖAW 2, 2011, S. 212ff.; Website Hohenems Geneal., Jüd. Mus. Hohenems (m. B. u. W., Zugriff 14. 4. 2014); IKG, KA, ÖAW, Österr. Nationalbibl., Österr. Theatermus., UA, Wienbibl. im Rathaus, WStLA, alle Wien; Stadtarchiv Graz, Stmk.; Mitt. Elisabeth Egger, Wien.
(Ch. Liebl)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 441f.
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