Treumann, Louis; bis 1905 eigentl. Pollitzer Alois (1872–1943), Schauspieler und Sänger

Treumann Louis, bis 1905 eigentl. Pollitzer Alois, Schauspieler und Sänger. Geb. Wien, 1. 3. 1872; gest. Ghetto Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren (CZ), 5. 3. 1943 (umgekommen); bis 1936 mos., dann röm.-kath. Ältester Sohn des jüd. Börsenagenten Franz Pollitzer (1843–1887); verheiratet mit Stefanie T., geb. Fanta (1881–1942). – T. wuchs in der Wr. Leopoldstadt auf, wo er im Carltheater früh seine Leidenschaft zum Theater entdeckte und seine Karriere als Claqueur begann. Als 17Jähriger verließ er seine Heimatstadt und wurde in Laibach (Ljubljana) Souffleur und Inspizient. Die Bühne betrat er zum ersten Mal 1890 in Budapest, wo er auch den Künstlernamen Louis Treumann annahm. Weitere Stationen waren u. a. Cottbus, Graz, Heilbronn, Freiberg, Pilsen (Plzeň), Salzburg und das Münchner Gärtnerplatztheater. Dort wurde er von →Franz v. Jauner entdeckt und nach Wien engag. Als Gesangskomiker am Carltheater förderte ihn Oberregisseur Victor Léon (→Viktor Hirschfeld), dessen Nebenberuf als Librettist T. zum Durchbruch verhalf. So spielte er den Josef in →Johann Strauß’ (Sohn) nachgelassenem „Wiener Blut“ (1899) und 1902 den jüd. Zwiebelhändler Wolf Bär Pfefferkorn in „Der Rastelbinder“, der ersten Operette →Franz Lehárs. Der entscheidende Karriereschritt war 1905 der Wechsel ans Theater an der Wien, zusammen mit Regisseur Léon und Partnerin Mizzi Günther, mit denen er noch im selben Jahr jenes Werk aus der Taufe hob, das eine neue Operettenepoche einläutete: Lehárs „Die lustige Witwe“. Als Gf. Danilo wurde T. über Nacht zum Idol einer ganzen Generation und löste →Alexander Girardi als Publikumsliebling ab. Von →Felix Salten wurde er als der „junge Mann up to date“ charakterisiert, mit vibrierender Nervosität, karessanter Sinnlichkeit und einem leichten Anhauch von Laster und Hysterie. I. d. F. pflegte T. einen aufwendigen Lebensstil, während seine schon zuvor berüchtigte Nervosität manische Formen annahm. Bereits bei Lehárs nächster Operette „Der Mann mit den drei Frauen“ überwarf er sich mit dem Theater an der Wien und wechselte 1908 an das neu erbaute Johann-Strauß-Theater, wo er ein Jahr später den Hadschi Stavros in Lehárs „Fürstenkind“ kreierte. Der Komponist war es auch, der ihn 1911 für die Urauff. seiner neuen Operette „Eva“ ans Theater an der Wien zurückholte. Doch 1912 kam es erneut zum Eklat, weil T. sich weigerte, die zweite Vorstellung von Emmerich Kálmáns „Kleinem König“ zu spielen. T. wurde entlassen, sein Ruf in Wien war ruiniert. Nach einjährigem Gastspiel in Berlin kehrte er Ende 1913 zurück und war am Bürgertheater in →Edmund Eyslers „Ein Tag im Paradies“ erfolgreich, bis er zum Kriegsdienst einberufen wurde. 1916 verschaffte ihm Lehár mit dem „Sterngucker“ ein Comeback im Theater in der Josefstadt, 1921 kreierte er am Carltheater als ind. Prinz Radjami in Kálmáns „Die Bajadere“ seine letzte große Rolle als Sänger. Den längst fälligen Fachwechsel vollzog er erst Mitte der 1920er-Jahre, so als dämon. Meschulach im jüd. Klassiker „Der Dybbuk“ oder in der Verfilmung des „Rastelbinders“, in seiner tragikom. Lebensrolle als Wolf Bär Pfefferkorn. 1930 ging T. nochmals nach Berlin, wo er in Ralph Benatzkys „Meine Schwester und ich“ den Richter darstellte und seine letzte bedeutende Rolle in Paul Abrahams „Viktoria und ihr Husar“ spielte. Nach dem „Anschluss“ Österr. 1938 kam dem mittlerweile kaum noch beschäftigten und verarmten T. zunächst der Umstand zugute, dass ihn →Adolf Hitler 1906 in seiner Lieblingsoperette „Die lustige Witwe“ gesehen hatte. Anfang 1942 musste aber auch er seine Wohnung verlassen. Trotz Intervention Lehárs und des Schauspielers Theo Lingen wurden T. und seine Frau Ende Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

L.: F. Salten, in: Die Zeit, 8. 12. 1906; Czeike; Die Fackel; Eisenberg, Bühne; Kutsch–Riemens, 4. Aufl. 2003; A. Polgar, in: Die Schaubühne 12, 1916, S. 139f.; F. Hadamowsky – H. Otte, Die Wr. Operette, 1947, s. Reg.; R. Holzer, Die Wr. Vorstadtbühnen, 1951, S. 406, 636ff. (m. B.); R. Dachs, W. Forst, 1986, S. 113; K. Gänzl, The Enc. of the Musical Theatre, 1994 (m. B.); St. Frey, „Was sagt ihr zu diesem Erfolg.“ F. Lehár und die Unterhaltungsmusik des 20. Jh., 1999, s. Reg. (m. B.).
(St. Frey)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 458f.
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